Zwischen Kunst und Sexualpädagogik

Fotos:
Erik Hüther, Enrico Franz
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In einem kleinen süßen Café im Frankfurter Bockenheim haben sich Linu vom Künstler:innenkollektiv glitterclit, unser Fotograf Enrico und unsere Redakteurin Monique getroffen. Das 2019 gegründete Kollektiv glitterclit, bestehend aus Noa Lovis Peifer und Linu Lätitia Blatt, möchte mit ihren Kunstprojekten zu mehr Wissen über intime Anatomien beitragen. Leider war Noa geschäftlich verhindert, was einem schönen Interview jedoch nicht im Weg stand. 

Stell dich gerne erstmal vor: Wer bist du und was machst du bzw. was macht ihr?

Ich bin Linu Lätitia Blatt und benutze keine Pronomen oder genderneutrale Pronomen. Noa Lovis Peifer und ich machen zusammen das sexualpädagogische Kunstprojekt glitterclit seit mittlerweile fast vier Jahren. Daraus haben sich weitere Projekte entwickelt. Wir haben zwei Jahre lang im Team mit der Illustratorin Yayo Kawamura und unserer Lektorin vom Beltz Verlag, Sarah Deubner, an dem Kinderbuch „Untenrum. Und wie sagst du?“ gearbeitet, das am 08.02 herauskommt. Ausgehend davon haben wir dann Körperwörter gegründet, einen Buchhandel mit Fokus auf sexuelle Bildung und Körperwissen. Manchmal fällt es mir schwer, bei so vielen Projekten durchzublicken (schmunzelt).

Verständlich bei den vielen Projekten. Zunächst aber zu glitterclit, warum heißt euer Kunstprojekt so?

Es heißt glitterclit, weil der Name genau das beschreibt, was es ist. In dem Projekt konzipieren wir sexualpädagogische Klitoris- und Vulvinamodelle (Anm. der Redaktion: Das Wort Vulvina setzt sich aus Vulva und Vagina zusammen) und fertigen sie aus Textilien her, die glitzern. Zusammen ergibt das dann glitterclit.

Unser Projekt ist genau die Schnittstelle zwischen Kunst und Sexualpädagogik.

Warum glitzern die Modelle?

Als Noa und ich in der sexuellen Bildung ehrenamtlich tätig waren, ist uns aufgefallen, dass es tatsächlich wenig Materialien gibt, die sich mit der Klitoris beschäftigen. Es gab schon Holzpenisse, bei denen man ein Kondom überziehen konnte. Das ist auch wichtig, aber es gab kein lustiges, offenes und niedrigschwelliges Modell, anhand dessen man den Aufbau der Klitoris oder Vulvina (Anm. der Redaktion: Das Wort Vulvina setzt sich aus Vulva und Vagina zusammen) erklären konnte. Dann hat Noa, der begabt im Nähen ist, einfach gesagt: „Okay, das gibt es nicht – ich nähe das einfach selbst.“ Da hat Noa Doris die Klitoris erfunden. 

Foto Credit: glitterclit

Sehr schön, einfach mal machen. Die Klitoris ist ein wichtiger Bestandteil des Körpers und der sexuellen Lust, aber genauso wichtig sind auch die Vulva und die Vagina. Warum habt ihr euch genau für die Klitoris entschieden?

Der Fokus auf die Klitoris kommt daher, dass wir erst im Alter von Anfang 20 gelernt haben, wie die Klitoris aufgebaut ist. Uns ist im Gespräch mit anderen aufgefallen, dass wir damit gar nicht allein sind. In unserem Aufwachsen wurde die Klitoris in der Schulbildung nicht thematisiert.

Das ist mir auch aufgefallen. Ich habe erst dank eures Projekts gelernt, wie die Klitoris tatsächlich aussieht – da war ich 22 Jahre alt.

Tatsächlich passiert es uns oft, dass Menschen denken: „Oh Gott, ich wusste das gar nicht. Was habe ich falsch gemacht?“. Noa und mir ist es sehr wichtig, zu betonen, dass es nicht ein individuelles Problem ist, sondern ein strukturelles. Wie soll man denn auch wissen, wie die Klitoris aufgebaut ist? Die Klitoris besteht nicht nur vermeintlich aus der Klitoris-Eichel, sondern aus einer gesamten Struktur, die sich um den Vagina-Schlauch erstreckt. 

Wie schätzt du heutzutage die Sexualpädagogik in den Schulen ein?

Noa und ich haben ja beide auch Lehramt studiert und waren im Rahmen unserer Projekte stets im Austausch mit Lehrkräften. Wir kennen viele Lehrkräfte, die sehr engagiert sind und Bock auf die Themen haben. Sie müssen aber viel Initiative zeigen, damit die Themen in die Schulen gebracht werden. Es gibt leider keine bundesweite flächendeckende Förderung, die es ermöglicht, Anatomie-Modelle wie Doris die Klitoris in die Schule zu bringen. Aber ich würde schon sagen, dass sich viel verändert hat. 2022 ist zum ersten Mal ein Schulbuch veröffentlicht worden, in dem die Klitoris in ihrer gesamten Form abgebildet wird. Das ist schon mal ein Erfolg, aber es gibt natürlich noch viel Luft nach oben.

Steht der Aufbau der Klitoris im Lehrplan?

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf sexuelle Bildung, aber der Fokus bei der Umsetzung liegt oft auf Reproduktion. Oft sind es Fragen, die auch sehr wichtig sind, zum Beispiel: „Wie verhindere ich Schwangerschaften? Wie verhindere ich sexuell übertragbare Krankheiten?“. Aber das reicht halt nicht. Vielmehr geht es uns darum, die eigene Lust und Wörter für den eigenen Körper kennenlernen zu können, die positiv und nicht negativ sind, wie zum Beispiel das Wort „Schamlippen”. Eine Alternative dazu wäre „Vulvalippen". Das lädt ein, über Konsens in der Sexualität nachzudenken. Wenn man Wörter hat, kann man auch benennen, was sich gut oder schlecht anfühlt. Damit ist es immer auch Gewaltprävention.

Rückblickend auf meine Schulzeit war der Sexualunterricht je nach Lehrer:in unterschiedlich und eher zu wenig. Da wurde manchmal auch nur ein Video angemacht.

Ich verstehe es auch. Für Lehrkräfte ist es eine zusätzliche Arbeit, das ist anstrengend. Ich setze mich dafür ein, dass sexuelle Bildung lieber von externen Fachkräften geleitet wird. Es kann für Schüler:innen unangenehm sein, wenn die Person, die Noten vergibt, einem auch noch Fragen über Sexualität und Körper beantworten soll. Besser ist es, wenn Akteur:innen wie Pro Familia in die Schulen gehen und einen Raum außerhalb des Bewertungsrahmens schaffen.

Hast du Ideen, was man in der sexuellen Bildung noch verändern könnte?

Ich finde, das Recht auf sexuelle Bildung bedeutet auch lernen zu dürfen, wie der menschliche Körper aufgebaut ist und wie er funktioniert. Und ich wünsche mir, dass sexuelle Bildung und Sexualpädagogik gesellschaftlich mehr verankert werden. Aber ich bin optimistisch, weil wir eben so viele Menschen kennenlernen, die sich genau da engagieren.

Was ist das Ziel eures Künstler:innenkollektivs? Das klang da ja schon etwas mit an.

Unser größtes Ziel ist es, niedrigschwellig sexuelle Bildung zu ermöglichen. Indem unsere Modelle glitzern und bunt sind, bieten sie Gesprächsanlass. Man muss nicht sofort über die Klitoris reden, sondern kann auch über die Farben oder das Glitzern sprechen. Damit ist es leichter, sich auf das Thema einzulassen, ohne dass das große „Oh Gott, wir reden jetzt über Sex“ in der Luft ist. Wir wollen nicht, dass sich Menschen unwohl fühlen. Allein der Name unserer Modelle ist schon witzig. Wenn man in der Schulklasse steht und anfängt: „Heute stelle ich euch Doris die Klitoris, vor“, dann lachen erstmal alle. Humor ist ein richtig spannendes Mittel, um einen Bildungsanlass herzustellen – solange es wertschätzend ist.

Das Lachen hilft, die Spannung im Raum zu lösen.

Und dann können wir entspannt darüber reden, was eigentlich eine Klitoris ist.

Stimmt, auf eurem Instagram-Account findet man unter anderem tolle Fotos, in denen Doris Fahrrad fährt oder andere Aktivitäten macht.

Ja, Doris hat schon viel erlebt (lacht). Social Media ist tatsächlich eher mein Bereich. Wir verstehen glitterclit als ein gesamtes sexualpädagogisches Kunstprojekt. Da gehört neben den Modellen an sich auch die Vermittlung der Themen über Social Media dazu. Wir haben im Verlauf der letzten vier Jahre viele Posts und Reels gemacht, in denen wir unsere Kunst, Inhalte und Arbeitsprozesse erklären.

Ihr habt ja nicht nur Doris die Klitoris, sondern auch viele andere Modelle im Angebot. Wie sind die anderen Modelle entstanden?

Wir haben mit Doris angefangen, dann haben wir Viola die Vulvina entwickelt. Doris lässt sich in Viola integrieren, sodass man die einzelnen Strukturen nochmal zeigen kann. Mit Moni die Monatsblutung lässt sich unverkrampft in das Thema Menstruation einführen. Also wirklich einführen: Man kann den Blutstropfen einführen und wieder ausführen. Dann wurden wir öfters gefragt, ob wir auch Modelle für Säuglinge machen können. Dadurch, dass die kleineren Kinder die Glitzer-Textilien auf keinen Fall in den Mund nehmen sollten, haben wir uns dazu entschieden, Dori und Waldemar*ie zu entwickeln. Eltern können diese Modelle sorgenfrei ihren Kindern zum Spielen geben. Und Kirsten die Kirschkernclit kann als Kirschkernkissen für Menstruationsschmerzen erwärmt werden. Die riecht tatsächlich nach Kirschkuchen (lacht). Seit über 2 Jahren hatten wir außerdem Lust, ein Penis-Modell zu entwickeln. Es war von Anfang an klar, dass wir dafür dann den Namen Penelope benutzen. Angelehnt an Viola und Doris haben wir uns für ein Modell entschieden, das sich auseinanderbauen lässt. Daraus ist dann Schwanette der Schwellkörper entstanden, der sich (wie unser Klitorismodell Doris aus unserem Vulvinamodell Viola) aus Penelope Penoden (unserem Penis-Hoden-Modell) herausnehmen lässt. Auf diese Weise kann man erkennen, dass der Schwellkörper des Penis dem Schwellkörper der Klitoris sehr ähnelt. Beides entwickelt sich embryonal aus der gleichen Struktur und zeigt eben auch das Spektrum, wie Körper aussehen können. 

Foto Credit: glitterclit

Viola die Vulvina, Schwanette der Schwellkörper, Moni die Monatsblutung … Nahezu alle Namen sind weiblich gelesene Namen, unter anderem auch Penelope Penoden als Penismodell, wie kommt ihr auf die Namen?

Beim Namen sind wir ähnlich wie bei Viola vorgegangen: Vulvina setzt sich aus Vulva und Vagina zusammen. Weil die Hoden neben dem Penis ein wichtiger Bestandteil sind, hat unsere Kollegin, die Sexualpädagogin Delia Struppek, den Namen Penelope Penoden vorgeschlagen. Mit Penelope und Schwanette lassen sich neben Penis und Vagina verschiedene Variationen von Körpern zeigen, wie beispielsweise auch Penisse mit und ohne Vorhaut oder clit-dicks (Anm. der Redaktion: Clit-dicks beschreibt eine Genital-Variation, die sowohl Anteile eines Penis als auch einer Klitoris enthalten kann). Die Hoden von Penelope lassen sich außerdem nach innen in den Körper schieben. Auf diese Weise kann Hodenhochstand gezeigt werden. Penelope und Schwanette sind weiblich gelesene Namen, weil wir damit die Frage in den Raum stellen, ob ein Penis automatisch ein männliches Geschlecht sein muss. Es gibt nämlich auch Menschen, die einen Penis haben, aber kein Mann sind, bspw. non-binäre oder binäre trans Personen. Auf diese Weise kann man in einem pädagogischen Setting auch darüber reden, welche Wörter man selbst für den eigenen Körper benutzt.

Jeder Mensch entscheidet selbst, wie das eigene Genital heißt.

An wen richtet sich eure Kunst?

Unsere größte Zielgruppe sind pädagogische Fachkräfte und Institutionen, die sexuelle Bildung vorantreiben. Aber auch an Eltern, Bezugspersonen und Menschen, die mehr über Sexualität, Körper und Gender lernen wollen.

Kurz nochmal zu der Herstellung an sich. Wir haben schon erfahren, dass Noa richtig gut nähen kann. Das würde ich auch gerne können.

Ich habe schon aufgegeben (lacht). Ich werde das nicht mehr lernen und das ist okay.

Wie kann man sich den Herstellungsprozess vorstellen?

Das hat sich seit letztem Sommer geändert. Wir sind mit dem Nähen nicht mehr nachgekommen und haben jetzt eine gelernte Schneiderin als Honorarkraft, Iliana Großkreutz. Konkret zum Prozess: Erstmal entwickeln Noa und ich das Konzept, bei Penelope kam dann später Iliana Großkreutz mit dazu und konnte ihre Expertise einbringen. Im ersten Entwicklungsstadium machen wir mehrere Prototypen und probieren aus, wie wir diese in der Schulklasse benutzen würden. Dieses Mal hat Noa zum Beispiel ganz unterschiedliche Eichelgrößen genäht. Wir schauen dann, welche Eichel für unsere Zwecke passend aussieht. Uns war es wichtig, dass der Penis bei unserem Modell variabel mit und ohne Vorhaut gezeigt werden kann. Dann überlegen wir uns Texte dazu, in denen wir das Modell beschreiben und erklären, was man alles damit demonstrieren und machen kann. Wenn wir mit dem Prototyp zufrieden sind, gehen wir in die Produktion. Da haben wir mittlerweile Schnittmuster für jedes Modell. Entweder Noa oder ich - das ist sogar ein Teil, den ich ohne Nähen zu können übernehmen kann -  schneiden die Modelle zu, die wir dann an Iliana Großkreutz übergeben und sie näht sie fertig.

Anfangs habt ihr alles allein zu zweit gemacht. Wie war das für euch, um Hilfe bitten zu müssen? Das zu akzeptieren, kann ja auch schwer sein.

Ja, das fiel uns schwer. Wir verstehen das Projekt als Kunstprojekt und wollen, dass die Modelle handgefertigt sind. Wegen der Handfertigung ist jedes Modell anders. Das entspricht auch unserem Konzept. Dazu wollen wir ein solidarisches Projekt sein. Das wäre schwierig geworden, wenn wir das Nähen hätten auslagern müssen. Zum Beispiel zu einer großen Schneiderei im Ausland, wo wir nicht wissen können, wie die Leute dort behandelt werden. Das wurde uns in einer Beratung vorgeschlagen, aber wir haben uns ganz klar dagegen entschieden. Auch wenn der Nachteil natürlich ist - das ist auch ein wichtiger Nachteil - dass die Modelle teuer sind.

Enrico: Wieviel kosten die Modelle?

Doris die Klitoris kostet 60 Euro und Viola die Vulvina kostet 190 Euro – zusammen kosten sie 250 Euro. Und danach haben wir auch die Preise von Penelope Penoden und Schwanette gerichtet. Ich finde es auch sehr teuer. Anfangs haben wir Doris für ca. 20 Euro verkauft. Irgendwann haben wir gemerkt, dass das Selbstausbeutung ist, die wir nicht mehr wollten. Spätestens jetzt mit Ili als Näherin brauchten wir einen stabilen Preis, um sie bezahlen zu können. In jedem Modell von uns steckt immerhin sehr viel Handarbeit und (nicht zu vergessen) vorangegangene Konzeptarbeit drin. 

Ist auf jeden Fall eine neue Rolle als Arbeitgeber:innen mit neuen Aufgaben.

Ja, genau. Es sind immer viele kleine Schritte zur Professionalisierung hin. Wir haben als Studi-Projekt angefangen und wachsen mittlerweile in eine andere Rolle. Wir versuchen das langsam, wertschätzend, solidarisch und nachhaltig zu machen. Dafür braucht man Zeit.

Wie waren bisher die Reaktionen auf eure Modelle?

Unterschiedlich. Das kann man gar nicht so verallgemeinern. Es gibt viele Leute, die es toll und witzig finden. Wir hören oft: „Krass, das habe ich noch gar nicht gewusst“. Und dann gibt es manche Leute, die nicht so viel Lust auf das Thema haben. Das ist auch okay, weil wir niemandem etwas aufzwingen wollen. Manchmal finden es Leute interessant, was wir machen, aber trauen sich nicht so, weiter nachzufragen. Einmal haben wir versucht, die Modelle auf dem Weihnachtsmarkt zu verkaufen. Dort haben wir festgestellt, dass das kein guter Ort dafür war, weil wir sehr viel kostenlose Aufklärungsarbeit machen mussten - ohne so richtig was zu verkaufen. Kinder fanden es zwar interessant, aber einige Eltern waren verunsichert, was auch in Ordnung war. Es war aber schön zu sehen, dass vor allem die Kinder viel Interesse gezeigt haben und wir mit ihnen ins Gespräch kamen.

Apropos Kinder. Du hast schon erzählt, dass am 08.02.23 euer Kinderbuch „Untenrum. Und wie sagst du?“ veröffentlicht wird. Willst du uns erzählen, worum es geht?

Gerne. Es ist ein sexualpädagogisches Kinderbuch für Kinder ab 4 Jahren bis ins Grundschulalter hinein. Das Buch erzählt von dem Kind Lo, das nach Hause kommt und Papa fragt, was das Wort “Untenrum” bedeutet. Das hat Lo nämlich im Kindergarten gehört. Die witzige Geschichte lädt dazu ein, sich spielerisch den Themen Genitalien, Sex, Gender und Konsens anzunähern und einiges dabei zu lernen. Beispielsweise, indem man ein eigenes Wort für das eigene Genital findet. 

Interessant – da hat man sogar wieder einen Bogen gespannt zu euren Modellen, die ebenfalls kreative Namen besitzen.

Genau. Es ist uns wichtig, im Buch zu vermitteln, dass es für verschiedene Anlässe verschiedene Begriffe geben darf. Neben ganz individuellen, selbstbestimmten Begriffen für den eigenen Intimbereich ist es wichtig, auch Wörter zu kennen, die wir in unserem Buch als Profi-Sprache bezeichnen. Dabei geht es um allgemein verständliche Wörter, die man zum Beispiel braucht, um sich Hilfe zu holen. Ein Erwachsener wird es nicht verstehen, wenn ich sage: „Meine Lokomotive tut weh.“ Aber wenn ich sage: „Mein Penis tut weh“, kann der Erwachsene damit etwas anfangen und mir helfen. 

Euer angesetztes Alter für die Kinder ist sehr jung. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

In unseren Workshops, die wir für Erwachsene gegeben haben, haben wir häufig gehört: „Ich hätte das so gerne früher gewusst.“ So erging es uns auch. Da dachten wir uns, wir sollten ein Kinderbuch schreiben. Außerdem werden im Kindergarten Bücher vorgelesen und währenddessen entstehen Gespräche. Im Kindergarten kann somit ein Raum für die Neugier der Kinder geschaffen werden. Wir denken, dass unser Buch Erwachsene dabei unterstützen kann, Kindern ihre Fragen zu beantworten.

Warum heißt das Buch „Untenrum. Und wie sagst du?“?

Ursprünglich war Körperwörter der Arbeitstitel des Buches. Im Prozess haben wir dann bemerkt, dass Erwachsene den Begriff Körperwörter witzig und interessant finden, aber Kinder manchmal nichts damit anfangen konnten. Das Wort “Untenrum” kennen im Gegensatz dazu viele Kinder. Außerdem wollten wir eine Frage als Titel. Die Frage funktioniert nämlich unmittelbar als sexualpädagogischer Gesprächsanlass, indem sie dazu einlädt, sich darüber Gedanken zu machen: „Wie sage ich denn eigentlich zu meinem Untenrum?“

Wie war der Entstehungsprozess?

Das war ganz schön viel Arbeit (lacht). Wir haben vor zwei Jahren angefangen, das Exposé zu schreiben. Dieses haben wir dann an viele Verlage geschickt und sind schließlich beim Beltz-Verlag gelandet. Sarah Deubner hat das Buch lektoriert. Und wir hatten das Glück, dass Yayo Kawamura unser Buch illustriert hat. Wir wollten sie unbedingt dabei haben, weil sie einen witzigen und liebevollen Stil hat. Unsere Vorbilder waren witzige und informative skandinavische Kinderbücher, insbesondere „Überall Popos“.

Wenn man das Buch bestellen will, wo findet man es?

Das Buch kann man in jeder Buchhandlung vorbestellen oder ihr bestellt es in unserem Online-Buchhandel Körperwörter.

Körperwörter ist ein weiteres Projekt von euch. Wie kam es zur Gründung?

Körperwörter ist in der Zeit entstanden, als wir uns während der sexualpädagogischen Weiterbildung intensiv mit Kinderbüchern und mit sexualpädagogischen Materialien beschäftigt haben. Menschen kaufen ja nicht nur Doris. Viele wollen einen Workshop geben und suchen nach weiteren Materialien dazu. Unser Konzept ist ein Online-Buchhandel mit Fokus auf sexuelle Bildung und Körperwissen. Wir sichten die verschiedenen Materialien und schreiben aus einer sexualpädagogischen Perspektive Rezensionen dazu, in denen erklärt wird, in welchem Kontext und zu welchen Themen das jeweilige Buch benutzt werden kann. Wir wollen damit eine Anlaufstelle für pädagogische Fachkräfte werden, die Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Büchern und Materialien sind.

Damit ermöglicht ihr auch eine Plattform.

Wir wollen zeigen, dass sexuelle Bildung allumfassender ist. Es gibt nicht das “sexualpädagogisch perfekte” Buch. Für verschiedene Kontexte gibt es vielmehr verschiedene Bücher, die in Frage kommen. Wir sind aber noch lange nicht fertig, der Shop entwickelt sich immer noch weiter. Es ist noch work in progress.

Könnt ihr euch vorstellen, noch weitere Bücher herauszugeben?

Ich kann dazu noch nichts Konkretes sagen (zwinkert).

Und wo würdet ihr noch gerne eure Genitalmodelle sehen?

Ich finde es toll, wenn die Modelle noch mehr in Schulen kommen. Meiner Meinung nach kann damit ein Mehrwert für die Vermittlung von Körperwissen geschaffen werden.

Schule ist für uns ein Raum mit sehr viel Potential.

Generell sind wir schon in vielen pädagogischen Einrichtungen vertreten. Jetzt sind Penelope und Schwanette neu dazu gekommen, mal schauen, wo die beiden so landen werden.

Enrico: Wie entsteht die Connection zur Schule? Geht ihr in die Schulen und stellt eure Modelle vor?

Früher haben wir Workshops für Schulen angeboten, aber das machen wir nicht mehr. Wir richten uns jetzt explizit an Personen, die Workshops geben, also an Multiplikator:innen. Der Kontakt entsteht in der Regel, wenn interessierte Lehrkräfte uns dann auf Instagram anschreiben.

Würdet ihr gerne mal wieder Workshops in Schulen geben?

Wir haben auf jeden Fall Lust, aber wir haben beide noch anderweitig Stellen, bei denen wir auch Workshops geben und durch die wir sehr ausgelastet sind. Gerade als Freiberufler:innen ist das Organisieren um Workshop-Termine herum oft aufwändig und kompliziert. Und wenn der Workshop dann ausfällt, was während Corona passiert ist, verdient man auch nichts.

Auf welche zukünftigen Projekte dürfen wir uns noch freuen?

Wenn das Buch veröffentlicht wird, werden wir Lesungen geben und diese teilweise in Workshop-Formaten umsetzen. Wir fahren zur Leipziger Buchmesse und stellen unser Buch da vor. Es wird spannend zu sehen, wie die Menschen darauf reagieren. Ansonsten bauen wir Körperwörter langsam weiter auf, aber da wollen wir uns auch Zeit lassen. Es gibt also kein neues großes Projekt – ist auch erstmal genug (lacht).

Die letzte Frage ist eine Frage von Elli, unserer letzten Interviewpartnerin. Elli fragt: Was ist dein Lieblings-Sex Toy?

(Lacht) Die Frage ist mir zu intim, die beantworte ich nicht, aber ich erkläre auch den Grund. Dadurch, dass Noa und ich so viel über Sexualität und Körper im öffentlichen Raum vermitteln, achten wir darauf, nichts aus unserem Privatleben zu erzählen. Aber ich finde, es ist eine gute Frage. Es ist cool, dass darüber geredet wird. Das ist eine Art von Aktivismus, wir haben nur einen anderen Weg gewählt.

Foto Credit: Enrico Franz

An dieser Stelle möchte ich mich bei Linu für das angenehme und schöne Interview bedanken. Wenn ihr mehr zu den beiden erfahren wollt, folgt und unterstützt Noa und Linu bei ihren Projekten: glitterclit und Körperwörter.

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In einem kleinen süßen Café im Frankfurter Bockenheim haben sich Linu vom Künstler:innenkollektiv glitterclit, unser Fotograf Enrico und unsere Redakteurin Monique getroffen. Das 2019 gegründete Kollektiv glitterclit, bestehend aus Noa Lovis Peifer und Linu Lätitia Blatt, möchte mit ihren Kunstprojekten zu mehr Wissen über intime Anatomien beitragen. Leider war Noa geschäftlich verhindert, was einem schönen Interview jedoch nicht im Weg stand. 

Stell dich gerne erstmal vor: Wer bist du und was machst du bzw. was macht ihr?

Ich bin Linu Lätitia Blatt und benutze keine Pronomen oder genderneutrale Pronomen. Noa Lovis Peifer und ich machen zusammen das sexualpädagogische Kunstprojekt glitterclit seit mittlerweile fast vier Jahren. Daraus haben sich weitere Projekte entwickelt. Wir haben zwei Jahre lang im Team mit der Illustratorin Yayo Kawamura und unserer Lektorin vom Beltz Verlag, Sarah Deubner, an dem Kinderbuch „Untenrum. Und wie sagst du?“ gearbeitet, das am 08.02 herauskommt. Ausgehend davon haben wir dann Körperwörter gegründet, einen Buchhandel mit Fokus auf sexuelle Bildung und Körperwissen. Manchmal fällt es mir schwer, bei so vielen Projekten durchzublicken (schmunzelt).

Verständlich bei den vielen Projekten. Zunächst aber zu glitterclit, warum heißt euer Kunstprojekt so?

Es heißt glitterclit, weil der Name genau das beschreibt, was es ist. In dem Projekt konzipieren wir sexualpädagogische Klitoris- und Vulvinamodelle (Anm. der Redaktion: Das Wort Vulvina setzt sich aus Vulva und Vagina zusammen) und fertigen sie aus Textilien her, die glitzern. Zusammen ergibt das dann glitterclit.

Unser Projekt ist genau die Schnittstelle zwischen Kunst und Sexualpädagogik.

Warum glitzern die Modelle?

Als Noa und ich in der sexuellen Bildung ehrenamtlich tätig waren, ist uns aufgefallen, dass es tatsächlich wenig Materialien gibt, die sich mit der Klitoris beschäftigen. Es gab schon Holzpenisse, bei denen man ein Kondom überziehen konnte. Das ist auch wichtig, aber es gab kein lustiges, offenes und niedrigschwelliges Modell, anhand dessen man den Aufbau der Klitoris oder Vulvina (Anm. der Redaktion: Das Wort Vulvina setzt sich aus Vulva und Vagina zusammen) erklären konnte. Dann hat Noa, der begabt im Nähen ist, einfach gesagt: „Okay, das gibt es nicht – ich nähe das einfach selbst.“ Da hat Noa Doris die Klitoris erfunden. 

Foto Credit: glitterclit

Sehr schön, einfach mal machen. Die Klitoris ist ein wichtiger Bestandteil des Körpers und der sexuellen Lust, aber genauso wichtig sind auch die Vulva und die Vagina. Warum habt ihr euch genau für die Klitoris entschieden?

Der Fokus auf die Klitoris kommt daher, dass wir erst im Alter von Anfang 20 gelernt haben, wie die Klitoris aufgebaut ist. Uns ist im Gespräch mit anderen aufgefallen, dass wir damit gar nicht allein sind. In unserem Aufwachsen wurde die Klitoris in der Schulbildung nicht thematisiert.

Das ist mir auch aufgefallen. Ich habe erst dank eures Projekts gelernt, wie die Klitoris tatsächlich aussieht – da war ich 22 Jahre alt.

Tatsächlich passiert es uns oft, dass Menschen denken: „Oh Gott, ich wusste das gar nicht. Was habe ich falsch gemacht?“. Noa und mir ist es sehr wichtig, zu betonen, dass es nicht ein individuelles Problem ist, sondern ein strukturelles. Wie soll man denn auch wissen, wie die Klitoris aufgebaut ist? Die Klitoris besteht nicht nur vermeintlich aus der Klitoris-Eichel, sondern aus einer gesamten Struktur, die sich um den Vagina-Schlauch erstreckt. 

Wie schätzt du heutzutage die Sexualpädagogik in den Schulen ein?

Noa und ich haben ja beide auch Lehramt studiert und waren im Rahmen unserer Projekte stets im Austausch mit Lehrkräften. Wir kennen viele Lehrkräfte, die sehr engagiert sind und Bock auf die Themen haben. Sie müssen aber viel Initiative zeigen, damit die Themen in die Schulen gebracht werden. Es gibt leider keine bundesweite flächendeckende Förderung, die es ermöglicht, Anatomie-Modelle wie Doris die Klitoris in die Schule zu bringen. Aber ich würde schon sagen, dass sich viel verändert hat. 2022 ist zum ersten Mal ein Schulbuch veröffentlicht worden, in dem die Klitoris in ihrer gesamten Form abgebildet wird. Das ist schon mal ein Erfolg, aber es gibt natürlich noch viel Luft nach oben.

Steht der Aufbau der Klitoris im Lehrplan?

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf sexuelle Bildung, aber der Fokus bei der Umsetzung liegt oft auf Reproduktion. Oft sind es Fragen, die auch sehr wichtig sind, zum Beispiel: „Wie verhindere ich Schwangerschaften? Wie verhindere ich sexuell übertragbare Krankheiten?“. Aber das reicht halt nicht. Vielmehr geht es uns darum, die eigene Lust und Wörter für den eigenen Körper kennenlernen zu können, die positiv und nicht negativ sind, wie zum Beispiel das Wort „Schamlippen”. Eine Alternative dazu wäre „Vulvalippen". Das lädt ein, über Konsens in der Sexualität nachzudenken. Wenn man Wörter hat, kann man auch benennen, was sich gut oder schlecht anfühlt. Damit ist es immer auch Gewaltprävention.

Rückblickend auf meine Schulzeit war der Sexualunterricht je nach Lehrer:in unterschiedlich und eher zu wenig. Da wurde manchmal auch nur ein Video angemacht.

Ich verstehe es auch. Für Lehrkräfte ist es eine zusätzliche Arbeit, das ist anstrengend. Ich setze mich dafür ein, dass sexuelle Bildung lieber von externen Fachkräften geleitet wird. Es kann für Schüler:innen unangenehm sein, wenn die Person, die Noten vergibt, einem auch noch Fragen über Sexualität und Körper beantworten soll. Besser ist es, wenn Akteur:innen wie Pro Familia in die Schulen gehen und einen Raum außerhalb des Bewertungsrahmens schaffen.

Hast du Ideen, was man in der sexuellen Bildung noch verändern könnte?

Ich finde, das Recht auf sexuelle Bildung bedeutet auch lernen zu dürfen, wie der menschliche Körper aufgebaut ist und wie er funktioniert. Und ich wünsche mir, dass sexuelle Bildung und Sexualpädagogik gesellschaftlich mehr verankert werden. Aber ich bin optimistisch, weil wir eben so viele Menschen kennenlernen, die sich genau da engagieren.

Was ist das Ziel eures Künstler:innenkollektivs? Das klang da ja schon etwas mit an.

Unser größtes Ziel ist es, niedrigschwellig sexuelle Bildung zu ermöglichen. Indem unsere Modelle glitzern und bunt sind, bieten sie Gesprächsanlass. Man muss nicht sofort über die Klitoris reden, sondern kann auch über die Farben oder das Glitzern sprechen. Damit ist es leichter, sich auf das Thema einzulassen, ohne dass das große „Oh Gott, wir reden jetzt über Sex“ in der Luft ist. Wir wollen nicht, dass sich Menschen unwohl fühlen. Allein der Name unserer Modelle ist schon witzig. Wenn man in der Schulklasse steht und anfängt: „Heute stelle ich euch Doris die Klitoris, vor“, dann lachen erstmal alle. Humor ist ein richtig spannendes Mittel, um einen Bildungsanlass herzustellen – solange es wertschätzend ist.

Das Lachen hilft, die Spannung im Raum zu lösen.

Und dann können wir entspannt darüber reden, was eigentlich eine Klitoris ist.

Stimmt, auf eurem Instagram-Account findet man unter anderem tolle Fotos, in denen Doris Fahrrad fährt oder andere Aktivitäten macht.

Ja, Doris hat schon viel erlebt (lacht). Social Media ist tatsächlich eher mein Bereich. Wir verstehen glitterclit als ein gesamtes sexualpädagogisches Kunstprojekt. Da gehört neben den Modellen an sich auch die Vermittlung der Themen über Social Media dazu. Wir haben im Verlauf der letzten vier Jahre viele Posts und Reels gemacht, in denen wir unsere Kunst, Inhalte und Arbeitsprozesse erklären.

Ihr habt ja nicht nur Doris die Klitoris, sondern auch viele andere Modelle im Angebot. Wie sind die anderen Modelle entstanden?

Wir haben mit Doris angefangen, dann haben wir Viola die Vulvina entwickelt. Doris lässt sich in Viola integrieren, sodass man die einzelnen Strukturen nochmal zeigen kann. Mit Moni die Monatsblutung lässt sich unverkrampft in das Thema Menstruation einführen. Also wirklich einführen: Man kann den Blutstropfen einführen und wieder ausführen. Dann wurden wir öfters gefragt, ob wir auch Modelle für Säuglinge machen können. Dadurch, dass die kleineren Kinder die Glitzer-Textilien auf keinen Fall in den Mund nehmen sollten, haben wir uns dazu entschieden, Dori und Waldemar*ie zu entwickeln. Eltern können diese Modelle sorgenfrei ihren Kindern zum Spielen geben. Und Kirsten die Kirschkernclit kann als Kirschkernkissen für Menstruationsschmerzen erwärmt werden. Die riecht tatsächlich nach Kirschkuchen (lacht). Seit über 2 Jahren hatten wir außerdem Lust, ein Penis-Modell zu entwickeln. Es war von Anfang an klar, dass wir dafür dann den Namen Penelope benutzen. Angelehnt an Viola und Doris haben wir uns für ein Modell entschieden, das sich auseinanderbauen lässt. Daraus ist dann Schwanette der Schwellkörper entstanden, der sich (wie unser Klitorismodell Doris aus unserem Vulvinamodell Viola) aus Penelope Penoden (unserem Penis-Hoden-Modell) herausnehmen lässt. Auf diese Weise kann man erkennen, dass der Schwellkörper des Penis dem Schwellkörper der Klitoris sehr ähnelt. Beides entwickelt sich embryonal aus der gleichen Struktur und zeigt eben auch das Spektrum, wie Körper aussehen können. 

Foto Credit: glitterclit

Viola die Vulvina, Schwanette der Schwellkörper, Moni die Monatsblutung … Nahezu alle Namen sind weiblich gelesene Namen, unter anderem auch Penelope Penoden als Penismodell, wie kommt ihr auf die Namen?

Beim Namen sind wir ähnlich wie bei Viola vorgegangen: Vulvina setzt sich aus Vulva und Vagina zusammen. Weil die Hoden neben dem Penis ein wichtiger Bestandteil sind, hat unsere Kollegin, die Sexualpädagogin Delia Struppek, den Namen Penelope Penoden vorgeschlagen. Mit Penelope und Schwanette lassen sich neben Penis und Vagina verschiedene Variationen von Körpern zeigen, wie beispielsweise auch Penisse mit und ohne Vorhaut oder clit-dicks (Anm. der Redaktion: Clit-dicks beschreibt eine Genital-Variation, die sowohl Anteile eines Penis als auch einer Klitoris enthalten kann). Die Hoden von Penelope lassen sich außerdem nach innen in den Körper schieben. Auf diese Weise kann Hodenhochstand gezeigt werden. Penelope und Schwanette sind weiblich gelesene Namen, weil wir damit die Frage in den Raum stellen, ob ein Penis automatisch ein männliches Geschlecht sein muss. Es gibt nämlich auch Menschen, die einen Penis haben, aber kein Mann sind, bspw. non-binäre oder binäre trans Personen. Auf diese Weise kann man in einem pädagogischen Setting auch darüber reden, welche Wörter man selbst für den eigenen Körper benutzt.

Jeder Mensch entscheidet selbst, wie das eigene Genital heißt.

An wen richtet sich eure Kunst?

Unsere größte Zielgruppe sind pädagogische Fachkräfte und Institutionen, die sexuelle Bildung vorantreiben. Aber auch an Eltern, Bezugspersonen und Menschen, die mehr über Sexualität, Körper und Gender lernen wollen.

Kurz nochmal zu der Herstellung an sich. Wir haben schon erfahren, dass Noa richtig gut nähen kann. Das würde ich auch gerne können.

Ich habe schon aufgegeben (lacht). Ich werde das nicht mehr lernen und das ist okay.

Wie kann man sich den Herstellungsprozess vorstellen?

Das hat sich seit letztem Sommer geändert. Wir sind mit dem Nähen nicht mehr nachgekommen und haben jetzt eine gelernte Schneiderin als Honorarkraft, Iliana Großkreutz. Konkret zum Prozess: Erstmal entwickeln Noa und ich das Konzept, bei Penelope kam dann später Iliana Großkreutz mit dazu und konnte ihre Expertise einbringen. Im ersten Entwicklungsstadium machen wir mehrere Prototypen und probieren aus, wie wir diese in der Schulklasse benutzen würden. Dieses Mal hat Noa zum Beispiel ganz unterschiedliche Eichelgrößen genäht. Wir schauen dann, welche Eichel für unsere Zwecke passend aussieht. Uns war es wichtig, dass der Penis bei unserem Modell variabel mit und ohne Vorhaut gezeigt werden kann. Dann überlegen wir uns Texte dazu, in denen wir das Modell beschreiben und erklären, was man alles damit demonstrieren und machen kann. Wenn wir mit dem Prototyp zufrieden sind, gehen wir in die Produktion. Da haben wir mittlerweile Schnittmuster für jedes Modell. Entweder Noa oder ich - das ist sogar ein Teil, den ich ohne Nähen zu können übernehmen kann -  schneiden die Modelle zu, die wir dann an Iliana Großkreutz übergeben und sie näht sie fertig.

Anfangs habt ihr alles allein zu zweit gemacht. Wie war das für euch, um Hilfe bitten zu müssen? Das zu akzeptieren, kann ja auch schwer sein.

Ja, das fiel uns schwer. Wir verstehen das Projekt als Kunstprojekt und wollen, dass die Modelle handgefertigt sind. Wegen der Handfertigung ist jedes Modell anders. Das entspricht auch unserem Konzept. Dazu wollen wir ein solidarisches Projekt sein. Das wäre schwierig geworden, wenn wir das Nähen hätten auslagern müssen. Zum Beispiel zu einer großen Schneiderei im Ausland, wo wir nicht wissen können, wie die Leute dort behandelt werden. Das wurde uns in einer Beratung vorgeschlagen, aber wir haben uns ganz klar dagegen entschieden. Auch wenn der Nachteil natürlich ist - das ist auch ein wichtiger Nachteil - dass die Modelle teuer sind.

Enrico: Wieviel kosten die Modelle?

Doris die Klitoris kostet 60 Euro und Viola die Vulvina kostet 190 Euro – zusammen kosten sie 250 Euro. Und danach haben wir auch die Preise von Penelope Penoden und Schwanette gerichtet. Ich finde es auch sehr teuer. Anfangs haben wir Doris für ca. 20 Euro verkauft. Irgendwann haben wir gemerkt, dass das Selbstausbeutung ist, die wir nicht mehr wollten. Spätestens jetzt mit Ili als Näherin brauchten wir einen stabilen Preis, um sie bezahlen zu können. In jedem Modell von uns steckt immerhin sehr viel Handarbeit und (nicht zu vergessen) vorangegangene Konzeptarbeit drin. 

Ist auf jeden Fall eine neue Rolle als Arbeitgeber:innen mit neuen Aufgaben.

Ja, genau. Es sind immer viele kleine Schritte zur Professionalisierung hin. Wir haben als Studi-Projekt angefangen und wachsen mittlerweile in eine andere Rolle. Wir versuchen das langsam, wertschätzend, solidarisch und nachhaltig zu machen. Dafür braucht man Zeit.

Wie waren bisher die Reaktionen auf eure Modelle?

Unterschiedlich. Das kann man gar nicht so verallgemeinern. Es gibt viele Leute, die es toll und witzig finden. Wir hören oft: „Krass, das habe ich noch gar nicht gewusst“. Und dann gibt es manche Leute, die nicht so viel Lust auf das Thema haben. Das ist auch okay, weil wir niemandem etwas aufzwingen wollen. Manchmal finden es Leute interessant, was wir machen, aber trauen sich nicht so, weiter nachzufragen. Einmal haben wir versucht, die Modelle auf dem Weihnachtsmarkt zu verkaufen. Dort haben wir festgestellt, dass das kein guter Ort dafür war, weil wir sehr viel kostenlose Aufklärungsarbeit machen mussten - ohne so richtig was zu verkaufen. Kinder fanden es zwar interessant, aber einige Eltern waren verunsichert, was auch in Ordnung war. Es war aber schön zu sehen, dass vor allem die Kinder viel Interesse gezeigt haben und wir mit ihnen ins Gespräch kamen.

Apropos Kinder. Du hast schon erzählt, dass am 08.02.23 euer Kinderbuch „Untenrum. Und wie sagst du?“ veröffentlicht wird. Willst du uns erzählen, worum es geht?

Gerne. Es ist ein sexualpädagogisches Kinderbuch für Kinder ab 4 Jahren bis ins Grundschulalter hinein. Das Buch erzählt von dem Kind Lo, das nach Hause kommt und Papa fragt, was das Wort “Untenrum” bedeutet. Das hat Lo nämlich im Kindergarten gehört. Die witzige Geschichte lädt dazu ein, sich spielerisch den Themen Genitalien, Sex, Gender und Konsens anzunähern und einiges dabei zu lernen. Beispielsweise, indem man ein eigenes Wort für das eigene Genital findet. 

Interessant – da hat man sogar wieder einen Bogen gespannt zu euren Modellen, die ebenfalls kreative Namen besitzen.

Genau. Es ist uns wichtig, im Buch zu vermitteln, dass es für verschiedene Anlässe verschiedene Begriffe geben darf. Neben ganz individuellen, selbstbestimmten Begriffen für den eigenen Intimbereich ist es wichtig, auch Wörter zu kennen, die wir in unserem Buch als Profi-Sprache bezeichnen. Dabei geht es um allgemein verständliche Wörter, die man zum Beispiel braucht, um sich Hilfe zu holen. Ein Erwachsener wird es nicht verstehen, wenn ich sage: „Meine Lokomotive tut weh.“ Aber wenn ich sage: „Mein Penis tut weh“, kann der Erwachsene damit etwas anfangen und mir helfen. 

Euer angesetztes Alter für die Kinder ist sehr jung. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

In unseren Workshops, die wir für Erwachsene gegeben haben, haben wir häufig gehört: „Ich hätte das so gerne früher gewusst.“ So erging es uns auch. Da dachten wir uns, wir sollten ein Kinderbuch schreiben. Außerdem werden im Kindergarten Bücher vorgelesen und währenddessen entstehen Gespräche. Im Kindergarten kann somit ein Raum für die Neugier der Kinder geschaffen werden. Wir denken, dass unser Buch Erwachsene dabei unterstützen kann, Kindern ihre Fragen zu beantworten.

Warum heißt das Buch „Untenrum. Und wie sagst du?“?

Ursprünglich war Körperwörter der Arbeitstitel des Buches. Im Prozess haben wir dann bemerkt, dass Erwachsene den Begriff Körperwörter witzig und interessant finden, aber Kinder manchmal nichts damit anfangen konnten. Das Wort “Untenrum” kennen im Gegensatz dazu viele Kinder. Außerdem wollten wir eine Frage als Titel. Die Frage funktioniert nämlich unmittelbar als sexualpädagogischer Gesprächsanlass, indem sie dazu einlädt, sich darüber Gedanken zu machen: „Wie sage ich denn eigentlich zu meinem Untenrum?“

Wie war der Entstehungsprozess?

Das war ganz schön viel Arbeit (lacht). Wir haben vor zwei Jahren angefangen, das Exposé zu schreiben. Dieses haben wir dann an viele Verlage geschickt und sind schließlich beim Beltz-Verlag gelandet. Sarah Deubner hat das Buch lektoriert. Und wir hatten das Glück, dass Yayo Kawamura unser Buch illustriert hat. Wir wollten sie unbedingt dabei haben, weil sie einen witzigen und liebevollen Stil hat. Unsere Vorbilder waren witzige und informative skandinavische Kinderbücher, insbesondere „Überall Popos“.

Wenn man das Buch bestellen will, wo findet man es?

Das Buch kann man in jeder Buchhandlung vorbestellen oder ihr bestellt es in unserem Online-Buchhandel Körperwörter.

Körperwörter ist ein weiteres Projekt von euch. Wie kam es zur Gründung?

Körperwörter ist in der Zeit entstanden, als wir uns während der sexualpädagogischen Weiterbildung intensiv mit Kinderbüchern und mit sexualpädagogischen Materialien beschäftigt haben. Menschen kaufen ja nicht nur Doris. Viele wollen einen Workshop geben und suchen nach weiteren Materialien dazu. Unser Konzept ist ein Online-Buchhandel mit Fokus auf sexuelle Bildung und Körperwissen. Wir sichten die verschiedenen Materialien und schreiben aus einer sexualpädagogischen Perspektive Rezensionen dazu, in denen erklärt wird, in welchem Kontext und zu welchen Themen das jeweilige Buch benutzt werden kann. Wir wollen damit eine Anlaufstelle für pädagogische Fachkräfte werden, die Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Büchern und Materialien sind.

Damit ermöglicht ihr auch eine Plattform.

Wir wollen zeigen, dass sexuelle Bildung allumfassender ist. Es gibt nicht das “sexualpädagogisch perfekte” Buch. Für verschiedene Kontexte gibt es vielmehr verschiedene Bücher, die in Frage kommen. Wir sind aber noch lange nicht fertig, der Shop entwickelt sich immer noch weiter. Es ist noch work in progress.

Könnt ihr euch vorstellen, noch weitere Bücher herauszugeben?

Ich kann dazu noch nichts Konkretes sagen (zwinkert).

Und wo würdet ihr noch gerne eure Genitalmodelle sehen?

Ich finde es toll, wenn die Modelle noch mehr in Schulen kommen. Meiner Meinung nach kann damit ein Mehrwert für die Vermittlung von Körperwissen geschaffen werden.

Schule ist für uns ein Raum mit sehr viel Potential.

Generell sind wir schon in vielen pädagogischen Einrichtungen vertreten. Jetzt sind Penelope und Schwanette neu dazu gekommen, mal schauen, wo die beiden so landen werden.

Enrico: Wie entsteht die Connection zur Schule? Geht ihr in die Schulen und stellt eure Modelle vor?

Früher haben wir Workshops für Schulen angeboten, aber das machen wir nicht mehr. Wir richten uns jetzt explizit an Personen, die Workshops geben, also an Multiplikator:innen. Der Kontakt entsteht in der Regel, wenn interessierte Lehrkräfte uns dann auf Instagram anschreiben.

Würdet ihr gerne mal wieder Workshops in Schulen geben?

Wir haben auf jeden Fall Lust, aber wir haben beide noch anderweitig Stellen, bei denen wir auch Workshops geben und durch die wir sehr ausgelastet sind. Gerade als Freiberufler:innen ist das Organisieren um Workshop-Termine herum oft aufwändig und kompliziert. Und wenn der Workshop dann ausfällt, was während Corona passiert ist, verdient man auch nichts.

Auf welche zukünftigen Projekte dürfen wir uns noch freuen?

Wenn das Buch veröffentlicht wird, werden wir Lesungen geben und diese teilweise in Workshop-Formaten umsetzen. Wir fahren zur Leipziger Buchmesse und stellen unser Buch da vor. Es wird spannend zu sehen, wie die Menschen darauf reagieren. Ansonsten bauen wir Körperwörter langsam weiter auf, aber da wollen wir uns auch Zeit lassen. Es gibt also kein neues großes Projekt – ist auch erstmal genug (lacht).

Die letzte Frage ist eine Frage von Elli, unserer letzten Interviewpartnerin. Elli fragt: Was ist dein Lieblings-Sex Toy?

(Lacht) Die Frage ist mir zu intim, die beantworte ich nicht, aber ich erkläre auch den Grund. Dadurch, dass Noa und ich so viel über Sexualität und Körper im öffentlichen Raum vermitteln, achten wir darauf, nichts aus unserem Privatleben zu erzählen. Aber ich finde, es ist eine gute Frage. Es ist cool, dass darüber geredet wird. Das ist eine Art von Aktivismus, wir haben nur einen anderen Weg gewählt.

Foto Credit: Enrico Franz

An dieser Stelle möchte ich mich bei Linu für das angenehme und schöne Interview bedanken. Wenn ihr mehr zu den beiden erfahren wollt, folgt und unterstützt Noa und Linu bei ihren Projekten: glitterclit und Körperwörter.

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