49 Tage ist es her, seitdem die CORRECTIV-Recherche das mehr oder weniger geheime Treffen und die Deportationspläne von AfD-Politiker:innen, Mitgliedern der Werte Union, Burschenschaftern, Unternehmern, Neonazis, Juristen und weiteren rechtsextremen Ideengebern aufdeckte. Seitdem mobilisierten sich bereits Zehntausende in Klein- bis Großstädten zum gemeinsamen Demonstrieren auf sogenannten "Anti-AfD-Demos" oder „Demonstrationen gegen Rechts“. Circa 130.000 Teilnehmende in Hamburg, rund 15.000 Menschen in Wiesbaden, 100.000 in München und auch Kleinstädte wie Geisenheim zählten um die 3000 Teilnehmende. So viel erstmal zu den harten Fakten. Doch wie viel bringen die zahlenstarken Demos wirklich, wie lange halten sie an und wie demonstrieren wir eigentlich?
Ich gehe schon eine ganze Weile auf Demonstrationen. Gegen rechts, gegen Sexismus, zum Gedenken des Anschlags in Hanau oder anderen links-politischen Forderungen, Themen und Debatten und in den letzten Wochen eben auch auf zahlreiche “Anti-AfD-Demos”. Im direkten Vergleich fällt mir bei der Stimmungslage vor Ort vor allem eins auf: Es fehlt die Wut. Statt klaren Parolen zuzuhören/ klare Parolen zu äußern, wird in Frankfurt zu “Gasolina” von Daddy Yankee getanzt oder werden sich in Hamburg Regenbogenflaggen und Herzen mit Karnevalsschminke ins Gesicht gemalt. Das ist nicht per se falsch, jedoch nimmt jedes “Einhörner hassen Nazis”-Glitzer-Plakat und jeder happy Pop-Song der Sache die Schwere, den Unmut. Vielleicht braucht es das aber auch, denn je “unpolitischer”, “unschuldiger” solche Demonstrationen wirken, desto mehr Menschen fühlen sich angesprochen? Oder liegt es eben einfach an der Diversität der Masse, da nun mal nicht alle “gleich politisch” sind? So oder so, es verunsichert mich und es macht mich wütend. Es macht mich wütend, Plakate zu lesen, auf denen Dinge stehen wie “Nazis essen heimlich Döner” oder Tweets und Instagram-Posts, die eine Liste von Leistungen aufzählen, die migrantische Menschen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft tun. Denn das suggeriert so viel wie: “So lange sie uns Essen zubereiten, für uns arbeiten, putzen oder unsere Kinder pflegen, dürfen sie bleiben.” Das geht mit 180 km/h an der Sache vorbei. Schlimmer noch: Es reproduziert diskriminierende Denkmuster. Menschen sind nicht nur dann schützenswert, wenn sie für uns nützlich sind. Auch macht es mich wütend, wenn wir an einem sonnigen Sonntagnachmittag in Massen durch die Straßen ziehen und so tun, als wäre Karneval, während Freund:innen um das Leben und die Zukunft ihrer Familien, Freund:innen und sich selbst fürchten, sowie allen, die sich klar links positionieren und sich dafür einsetzen. Ich will nicht zu “Gasolina” tanzen, ich will, dass Nazis Angst haben. Ich will, dass sich Nazis und rechte Politiker:innen - egal ob sie das offensichtlich zeigen oder unter dem Deckmantel der Parteien der politischen Mitte handeln - dabei unwohl fühlen, ihr diskriminierendes Gedankengut in die Welt zu tragen. Das mag in den Augen der “bürgerlichen Mitte” vielleicht radikal klingen, was wiederum von vielen mit der Radikalität rechter Gruppierungen gleichgesetzt wird. Es sollte aber vielmehr als Antwort und Reaktion auf das, was von rechts kommt, verstanden werden. Diese Menschen und Parteien handeln radikal faschistisch, wir reagieren radikal antifaschistisch. Nur das ist konsequent. Dass diesen Blickwinkel (noch) nicht alle Menschen, die über die vergangenen Wochen zu Demonstrationen gegangen sind, haben, ist verständlich und sollte auch nicht erwartet werden. Es sollte auch niemandem abgesprochen werden, sich ernsthaft Sorgen über die aktuelle politische Lage zu machen oder aktiv werden zu wollen, auch wenn sie bislang vielleicht noch im Glitzer-Gewand und mit buntem Plakat losgezogen sind. Und natürlich ist es klar, dass sich eine bislang “unpolitische” Person wohler fühlt, auf eine Demonstration zu gehen, bei der Musik läuft anstatt wütender Parolen aus dem schwarzen Block der Antifa. Selbstverständlich darf bei alldem auch nicht vergessen werden, dass diese unglaublich starken, bewegenden Zahlen etwas bewirken. In der Gesellschaft, aber auch bei denen, gegen die wir uns nun seit Wochen auf den Straßen treffen. Die Verunsicherung innerhalb der AfD wurde spätestens durch den für sie klassischen Vorwurf der “Fake News” eindeutig. Dabei behauptete Björn Höcke mal eben, dass die Bilder der “bestellten Massen” manipuliert seien, was sich in rechten Netzwerken aufgrund von gefälschten Bildern ziemlich schnell rum sprach. Laut Umfragewerten zu Beginn der Demonstrationen sank auch die Prozentzahl an Leuten, die die AfD zu dem Zeitpunkt gewählt hätten. Wir sehen also zumindest Bewegung. Und vielleicht genügen ja auch “Alle zusammen gegen den Faschismus” oder “Ganz Stadt-XY hasst die AfD” als kleinster gemeinsamer Nenner. Vielleicht sollte bei den aktuellen Demonstrationen auch gar nicht erst die Debatte aufgemacht werden, wer wie oft schon auf einer Demonstration war, wer wie links und wer wie politisch ist. Vielleicht sollten wir uns zuallererst darauf einigen, dass wir als Gesellschaft die aktuelle deutsche Politik nicht weiter hinnehmen. Dabei habe ich allerdings die Hoffnung, oder vielmehr die Bitte, dass es bei den Protesten gegen die AfD und dem “geheimen Treffen” nicht aufhört und vor allem, dass wir nicht aufhören, so wie es meistens bei politischer Aufruhr nach einiger Zeit passiert. Ich hoffe, dass sich alle, die aktuell auf die Straßen gehen, ob nun seit Jahren oder zum ersten Mal, weiter informieren, politisieren und positionieren. Und ich hoffe, dass wir alle einen Blick auf die Parteien und die Bundesregierung werfen, die tiefenentspannt Gesetze für mehr und schnellere Rückführungen beschließen und Bezahlkarten für Asylbewerber:innen einführen und auch auf einen Bundeskanzler, dessen Bild auf dem Spiegel-Cover mit der Unterschrift “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.” prangt, das so schnell (hoffentlich) niemand mehr vergessen wird. Aber vor allem sollten wir auf unsere eigenen Reihen schauen. Das eigene Umfeld. Auf der Arbeit, im Verein, in der Kneipe, innerhalb des Freundeskreises oder beim Familienfest.
Geht auf die Straße, aber bitte kehrt nicht nach einem Mal nach Hause zurück und denkt, dass das reicht. Lasst uns nicht müde werden, denn Nazis und rechte Parteien werden das auch nicht. Redet, diskutiert, tauscht euch aus und vor allem: zieht Konsequenzen.
Quellen:
https://www.tagesschau.de/inland/demo-hamburg-126.html
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/demonstrationen-rechtsextremismus-bilder-100.html
49 Tage ist es her, seitdem die CORRECTIV-Recherche das mehr oder weniger geheime Treffen und die Deportationspläne von AfD-Politiker:innen, Mitgliedern der Werte Union, Burschenschaftern, Unternehmern, Neonazis, Juristen und weiteren rechtsextremen Ideengebern aufdeckte. Seitdem mobilisierten sich bereits Zehntausende in Klein- bis Großstädten zum gemeinsamen Demonstrieren auf sogenannten "Anti-AfD-Demos" oder „Demonstrationen gegen Rechts“. Circa 130.000 Teilnehmende in Hamburg, rund 15.000 Menschen in Wiesbaden, 100.000 in München und auch Kleinstädte wie Geisenheim zählten um die 3000 Teilnehmende. So viel erstmal zu den harten Fakten. Doch wie viel bringen die zahlenstarken Demos wirklich, wie lange halten sie an und wie demonstrieren wir eigentlich?
Ich gehe schon eine ganze Weile auf Demonstrationen. Gegen rechts, gegen Sexismus, zum Gedenken des Anschlags in Hanau oder anderen links-politischen Forderungen, Themen und Debatten und in den letzten Wochen eben auch auf zahlreiche “Anti-AfD-Demos”. Im direkten Vergleich fällt mir bei der Stimmungslage vor Ort vor allem eins auf: Es fehlt die Wut. Statt klaren Parolen zuzuhören/ klare Parolen zu äußern, wird in Frankfurt zu “Gasolina” von Daddy Yankee getanzt oder werden sich in Hamburg Regenbogenflaggen und Herzen mit Karnevalsschminke ins Gesicht gemalt. Das ist nicht per se falsch, jedoch nimmt jedes “Einhörner hassen Nazis”-Glitzer-Plakat und jeder happy Pop-Song der Sache die Schwere, den Unmut. Vielleicht braucht es das aber auch, denn je “unpolitischer”, “unschuldiger” solche Demonstrationen wirken, desto mehr Menschen fühlen sich angesprochen? Oder liegt es eben einfach an der Diversität der Masse, da nun mal nicht alle “gleich politisch” sind? So oder so, es verunsichert mich und es macht mich wütend. Es macht mich wütend, Plakate zu lesen, auf denen Dinge stehen wie “Nazis essen heimlich Döner” oder Tweets und Instagram-Posts, die eine Liste von Leistungen aufzählen, die migrantische Menschen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft tun. Denn das suggeriert so viel wie: “So lange sie uns Essen zubereiten, für uns arbeiten, putzen oder unsere Kinder pflegen, dürfen sie bleiben.” Das geht mit 180 km/h an der Sache vorbei. Schlimmer noch: Es reproduziert diskriminierende Denkmuster. Menschen sind nicht nur dann schützenswert, wenn sie für uns nützlich sind. Auch macht es mich wütend, wenn wir an einem sonnigen Sonntagnachmittag in Massen durch die Straßen ziehen und so tun, als wäre Karneval, während Freund:innen um das Leben und die Zukunft ihrer Familien, Freund:innen und sich selbst fürchten, sowie allen, die sich klar links positionieren und sich dafür einsetzen. Ich will nicht zu “Gasolina” tanzen, ich will, dass Nazis Angst haben. Ich will, dass sich Nazis und rechte Politiker:innen - egal ob sie das offensichtlich zeigen oder unter dem Deckmantel der Parteien der politischen Mitte handeln - dabei unwohl fühlen, ihr diskriminierendes Gedankengut in die Welt zu tragen. Das mag in den Augen der “bürgerlichen Mitte” vielleicht radikal klingen, was wiederum von vielen mit der Radikalität rechter Gruppierungen gleichgesetzt wird. Es sollte aber vielmehr als Antwort und Reaktion auf das, was von rechts kommt, verstanden werden. Diese Menschen und Parteien handeln radikal faschistisch, wir reagieren radikal antifaschistisch. Nur das ist konsequent. Dass diesen Blickwinkel (noch) nicht alle Menschen, die über die vergangenen Wochen zu Demonstrationen gegangen sind, haben, ist verständlich und sollte auch nicht erwartet werden. Es sollte auch niemandem abgesprochen werden, sich ernsthaft Sorgen über die aktuelle politische Lage zu machen oder aktiv werden zu wollen, auch wenn sie bislang vielleicht noch im Glitzer-Gewand und mit buntem Plakat losgezogen sind. Und natürlich ist es klar, dass sich eine bislang “unpolitische” Person wohler fühlt, auf eine Demonstration zu gehen, bei der Musik läuft anstatt wütender Parolen aus dem schwarzen Block der Antifa. Selbstverständlich darf bei alldem auch nicht vergessen werden, dass diese unglaublich starken, bewegenden Zahlen etwas bewirken. In der Gesellschaft, aber auch bei denen, gegen die wir uns nun seit Wochen auf den Straßen treffen. Die Verunsicherung innerhalb der AfD wurde spätestens durch den für sie klassischen Vorwurf der “Fake News” eindeutig. Dabei behauptete Björn Höcke mal eben, dass die Bilder der “bestellten Massen” manipuliert seien, was sich in rechten Netzwerken aufgrund von gefälschten Bildern ziemlich schnell rum sprach. Laut Umfragewerten zu Beginn der Demonstrationen sank auch die Prozentzahl an Leuten, die die AfD zu dem Zeitpunkt gewählt hätten. Wir sehen also zumindest Bewegung. Und vielleicht genügen ja auch “Alle zusammen gegen den Faschismus” oder “Ganz Stadt-XY hasst die AfD” als kleinster gemeinsamer Nenner. Vielleicht sollte bei den aktuellen Demonstrationen auch gar nicht erst die Debatte aufgemacht werden, wer wie oft schon auf einer Demonstration war, wer wie links und wer wie politisch ist. Vielleicht sollten wir uns zuallererst darauf einigen, dass wir als Gesellschaft die aktuelle deutsche Politik nicht weiter hinnehmen. Dabei habe ich allerdings die Hoffnung, oder vielmehr die Bitte, dass es bei den Protesten gegen die AfD und dem “geheimen Treffen” nicht aufhört und vor allem, dass wir nicht aufhören, so wie es meistens bei politischer Aufruhr nach einiger Zeit passiert. Ich hoffe, dass sich alle, die aktuell auf die Straßen gehen, ob nun seit Jahren oder zum ersten Mal, weiter informieren, politisieren und positionieren. Und ich hoffe, dass wir alle einen Blick auf die Parteien und die Bundesregierung werfen, die tiefenentspannt Gesetze für mehr und schnellere Rückführungen beschließen und Bezahlkarten für Asylbewerber:innen einführen und auch auf einen Bundeskanzler, dessen Bild auf dem Spiegel-Cover mit der Unterschrift “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.” prangt, das so schnell (hoffentlich) niemand mehr vergessen wird. Aber vor allem sollten wir auf unsere eigenen Reihen schauen. Das eigene Umfeld. Auf der Arbeit, im Verein, in der Kneipe, innerhalb des Freundeskreises oder beim Familienfest.
Geht auf die Straße, aber bitte kehrt nicht nach einem Mal nach Hause zurück und denkt, dass das reicht. Lasst uns nicht müde werden, denn Nazis und rechte Parteien werden das auch nicht. Redet, diskutiert, tauscht euch aus und vor allem: zieht Konsequenzen.
Quellen:
https://www.tagesschau.de/inland/demo-hamburg-126.html
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/demonstrationen-rechtsextremismus-bilder-100.html