Farbe gibt Form

Fotos:
Philipp Nguyen
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Evelyn Wiedemann ist eine vielseitige Künstlerin. Sie fotografiert nicht nur, sondern malt auch mit Leidenschaft und zeigt das in ihren genauso vielseitigen Gemälden. Ich durfte Evelyn im schönen Wiesbaden interviewen und mehr zu ihrer Person und Kunst erfahren. Besucher:innen unserer Einerseits Session kennen Evelyns Werke bereits. Wer sie jedoch noch nicht kennt, ist hiermit herzlich eingeladen, die künstlerische Persönlichkeit hinter Kamera und Pinsel kennenzulernen und ihren Werdegang zu verfolgen.

Hallo Evelyn, stell dich gerne kurz vor. Wer bist du und was machst du?

Hallo, ich bin Evelyn und studiere eigentlich in Wiesbaden, aber ich bin gerade dabei, den Studiengang zu wechseln. Ich versuche durch Fotografie und Malerei selten empfundene Stimmungen festzuhalten.

Erstmal zu deiner Fotografie. Wie kam es bei dir zur Fotografie?

Als ich 13 Jahre alt war, war ich mit einer Freundin unterwegs, die eine Spiegelreflexkamera zur Konfirmation bekommen hat’. Ich habe sie mir ausgeliehen und bin damit nach Hause gekommen. Meine Mutter meinte, wir können sie unmöglich behalten. Aber ich wollte unbedingt eine Kamera haben. Dann habe ich mein Weihnachtsgeschenk schon im Oktober bekommen. Irgendwie hat da alles angefangen. Immer, wenn ich mich mit Freundinnen getroffen habe, haben wir unsere Kameras mitgenommen und fotografiert. Wir haben den Shit gemacht, worauf wir Bock hatten – was wir auf Tumblr gesehen haben, was man so cool fand damals. Wir haben uns immer selbst gegenseitig fotografiert.

Es ist mir aufgefallen, dass auf deinem Instagram-Account vor allem Porträtfotos und generell der Mensch zu sehen sind. Was fasziniert dich an diesem Motiv?

Ich weiß nicht warum, aber ich wollte mich früher immer von Porträtfotograf:innen abgrenzen. Dann habe ich mal geguckt, was ich selbst mache. Das sind fast nur Porträts (lacht).

Warum wolltest du dich abgrenzen? Sind Porträtfotos zu typisch?

Ja, ich weiß nicht. Ich versuche halt meistens, wenn ich mit Leuten shoote, deren Vibe festzuhalten. Oder irgendeinen Vibe, den sie auch fühlen. Zum Beispiel bei meiner Mitbewohnerin, die Bratsche spielt und in der Klassik-Szene unterwegs ist. Wenn man mit ihr darüber spricht, erzählt sie von ganz anderen Regeln, die da existieren. Verhalten spielt da eine große Rolle und Sachen, über die wir uns nicht so viele Gedanken machen. 

Hast du dafür ein Beispiel?

Tattoos sind da so ein Ding oder mit welchem Outfit du zum Üben ins Theater gehst. Ziehst du eine Adibreak an oder nicht. Das ist schon eine Entscheidung.

Und konnte sie dann bei eurem Foto-Shooting freier sein?

Voll. Ich wusste das nicht mal, es hat mich so überrascht, was sie geben kann. Das ist oft so. Wenn ich davor mit den Menschen schnacke und etwas über sie erfahre, dann ist der Zugang da. Man merkt, wie man sich so fühlt. 

Also ist dir die Beziehung zwischen Fotografin und Model sehr wichtig?

Ja, ich finde es am nicesten, wenn man etwas von der Person weiß. Dann weiß man, was ihr taugen könnte. Was ergänzt jetzt die Situation oder das Bild, was für einen Vibe kann man aus der Person rauskitzeln? Oder auch, um Gegensätze auszuprobieren. Ich habe mal Bilder von Johanna gemacht, wie sie im schwarzen Adidas-Anzug auf einer Blumenwiese chillt. Das sieht dreamy und sweet aus.

Wie wichtig ist die Location bei der Fotosession?

Kommt darauf an. Zum Beispiel habe ich mit meiner Mitbewohnerin so Art Jahrbuchfotos gemacht. Und ich finde es auch nice, wenn man so plain einen Hintergrund hat. Dann kann man gucken, was man vor der Kamera macht. Ich wollte auch so eine Collage erstellen, wo ein nacktes Girl ihren eigenen Kopf hält und vor ihr liegen viele Köpfe von ihr. Da geht es dann mehr um die Sache. Oder wenn man viel mit Emotionen arbeitet – da braucht man nicht so viel Hintergrund. Ich mag es, auf eine Sache viel Betonung zu legen – ich weiß nicht, ob ich das so pauschalisieren kann.

Eigentlich war ich die ganze Zeit im Malmodus, aber jetzt hat es mich doch wieder gepackt, weil ich Bilder von einem Theaterstück bearbeitet habe. Morgen gehe ich mit einer Freundin an den Rhein, da waren wir letztens schon. Und die Sonne setzt sich da super besonders. Das Wasser und der Himmel haben so eine lila-blau-orangene Farbpalette. Da ist zum Beispiel die Szene wieder wichtig und das Zusammenspiel mit dem Model. Ich will das so ein bisschen naturell machen, mit der femininen Energie spielen – sehr zart, sehr sweet, einfach schön. Vielleicht so in die Richtung der Venus, die aus dem Wasser steigt. Ich habe zwei Models, zwei Girls und wenn die sich trauen, das nackt zu machen, diese zarte Weiblichkeit festzuhalten, mit dem ganzen Licht... Das Licht dort ist auch verrückt, es ist einfach lila, wenn die Sonne untergeht.

Du hast vorhin erzählt, du hast bei einem Theaterstück fotografiert. Wie war das für dich?

Das war super interessant. Wann kriegt man denn schon solche Bilder? Wie Leute in diesen Szenen diese Emotion spielen. Es passiert so selten, dass man das festhalten darf. 

Wie kam es dazu?

Über meine Mitbewohnerin. Ein Freund von ihr hat noch nach eine:r Fotograf:in gesucht und dann kam es dazu. Es ist einfach spannend, in was für Kreise man eintauchen darf.

Was war für dich die interessanteste Emotion, die du festhalten durftest?

(Überlegt) Dort oder generell?

Gerne beides.

Um es herunterzubrechen: Im Theaterstück ging es um Wahrheit. Eine Person meinte, nur durch Wahrheit kann man das echte Leben erfahren. Die andere Person hat sich in Träumen verloren und sich vor der Wahrheit mit einem Gerüst versteckt. Das Gerüst wurde mit Kartons inszeniert. Dann ist er durch die Kartons gebrochen, als er die Wahrheit erfahren hat. Wenn man das hört, könnte man denken “okay, er ist durch Kartons gesprungen”, aber wenn du da bist, in diesem dunklen Raum und das Licht scheint nur auf diese Person... die haben total viel mit der Lichtstimmung gespielt. Dann bricht er plötzlich aus. Dieses Entsetzen und diese Überraschung. Die Person ist so in ihrer Emotion gefangen. 

Und wie ist es generell für dich, Emotionen zu fotografieren?

Ich habe mal mit einer Freundin Musikvideos zu einem Musikerduo aus Offenbach filmen wollen. Der Film sollte chaotische Gefühle vermitteln. Dass man individuellen Schmerz sieht, wie aus Liebeskummer heraus – jeder kennt es – aber bei jeder Person ist es trotzdem anders. Und wenn er wieder weg ist, vergisst man, wie er sich anfühlt. Die Szenen von ihr zeigen als Keyframes, wie sie ihr Gesicht richtig verzerrt und daran zieht. Das war mega nice. Da konnte ich auch sagen: “Fühl dich mal da rein”. Ich habe ihr auch gezeigt, wie ich die Gefühle fühle. Sie hat es sofort gecheckt.

Es macht am meisten Spaß, wenn man so auf einer Wave ist.

Foto Credit: Philipp Nguyen

Nach der Fotosession bearbeitest du ja dann auch deine Bilder, wo und wann bearbeitest du sie?

Am meisten bei mir zu Hause. Es ist eher selten, dass ich es zwischendurch mache – da kann man sich nicht so darauf einlassen. Ich probiere viel aus bei der Bearbeitung. Ich habe meine Routine, wie ich zu dem Ergebnis komme, das ich erreichen will. Aber manchmal ist es doch nicht so ganz das. Man braucht dafür den Raum und die Zeit, um sich auszuprobieren.

Was gefällt dir lieber, die Fotosession oder die Bearbeitung hinterher?

Safe die Fotosession. Also das sind beides zwei Moods. Das ist bei mir eine kleine Tragödie: Das Produzieren mag ich sehr, aber die Bearbeitung finde ich anstrengend. Da muss ich noch in Einklang kommen. Ich dachte auch eine zeitlang “okay du wirst jetzt miese Musikvideos drehen”. Das Filmen macht mir Spaß, aber das Schneiden und die ganzen Transitions… Da bist du den ganzen Tag in einem grauen Raum. Das wird immer so romantisiert, aber es ist sehr stressig.

Hattest du mal einen interessanten oder auch komischen Moment bei einer Fotosession, den du gerne teilen willst?

Ich finde es immer wieder nervig, wenn man mit Männern shootet, dass es als Date-Situation ausgelegt werden kann

Das ist schon häufiger passiert, oder?

Ja, oder ein anderer unangenehmer Moment: Ich habe mal bei Radio Frankfurt ein Social Media Praktikum gemacht. Zum 75. Geburtstag des ICE gab es eine super tolle Lok am Frankfurt Hauptbahnhof. An dem Tag hatte ich eine aggressive Stimmung und hatte Liz (Anm. der Redaktion: Rapperin aus Frankfurt) auf den Ohren. Da bin ich hin gestampft. Hatte kein Presseausweis, nichts dabei. Der Türsteher wollte mich zuerst nicht durchlassen. Dann meinte ich – vielleicht war ich bisschen zickig – ich werde ja auf jeden Fall nichts machen außer paar Fotos. Dann stand ich da, ich konnte einfach nur ein paar Fotos machen und abziehen. Es war halt eine Veranstaltung von alten weißen Männern. Mein Schuh war wohl offen und ich hatte Kopfhörer drin. Ein Mann hat mich darauf hingewiesen, war ja ganz nett. Aber dann meinte er, warum ich denn hinter der Kamera stehe, ich sollte eher davor stehen. Let me do my Job. Das nimmt einem halt jede Seriosität. Ich meine, ich bin da jetzt nicht seriös aufgetreten. 

Naja, muss man das? 

Was ist auch Seriosität? Da waren halt die ganzen Fotografen – ich gender bewusst nicht – die für all diese regionalen Zeitschriften fotografieren.

Wie gehst du mit diesen ganzen Fotografen um?

Ich bin halt da.

Ich will gar nicht so in die Schiene gehen. Vielleicht kreist man das Thema nochmal ein: Es ist ja immer voll das Spannungsverhältnis zwischen Models und Fotograf:innen. In der Geschichte ist es noch geprägt von Fotografen. Es kommen ja immer wieder Stories von Models, was wirklich passiert. Das macht was mit der Branche. Gleichzeitig schwingt was Sexuelles mit. Auch wenn es sexuelle Themen gibt, die man behandeln möchte, es muss aber nicht sexuell werden.

Findest du, dass die Fotografie heute immer noch einen sehr männlichen Blick hat?

Total. Das Auge stellt immer die Szenen dar, die schon immer gesehen wurden. Wenn ich bei Instagram den 10.000ten Lingerie-Fotografen sehe, dann hinterfrage ich seine Daseinsberechtigung. Also okay, es darf dich interessieren. Aber wie oft hat man das schon gesehen? Das ist der männliche Blick. Wenn ich Frauen nackt fotografiere, sind das einfach zwei verschiedene Perspektiven. Je mehr Menschen generell in die Branche eintreten und repräsentiert werden, ermöglicht das einem mehr Perspektiven.

Wie sind gerade die Zugänge in die Branche?

Ich glaube, das kommt auf die Bubble an. Letztens habe ich ein Jobangebot bekommen, wo ich Leute für Werbefotos casten sollte – so von der Straße. Da sollte nur die weiße Mehrheitsgesellschaft repräsentiert werden. Das ist halt leider immer noch gefragt. Wenn man das Angebot konsequent ändert, wäre es cooler. Vor allem die industrielle Branche hat noch alte Strukturen, die auch so schwer sind loszulassen.

Über dieses Thema könnten wir stundenlang reden, und das ist natürlich auch wichtig. Lass uns allerdings wieder zurück zu deiner Fotografie kommen: Was willst du mit deinen Fotos ausdrücken?

Eigentlich ist es, glaube ich, ziemlich simpel und gar nicht so tiefsinnig: einfach, worauf ich in diesem Moment Bock habe. In letzter Zeit frage ich mich, was digitale Fotografie noch Wert ist, wenn man tausend Bilder machen kann.

 Ich kann es löschen, ich kann es wieder aus dem Papierkorb ziehen.

Darum wollte ich mir mal eine analoge Kamera anschaffen und reale Bilder abbilden. Irgendwie gibt es so viele Sachen, die man ausdrücken kann. Also Street-Photography habe ich auch mal gemacht. Aber ich habe ein Problem damit, weil ich nicht in die Privatsphäre anderer eindringen will, um Fotos zu machen. Darum inszeniere ich lieber – da ist alles abgeklärt, jeder ist okay damit.

Was genau meinst du mit realen Bildern?

Sachen, die tagtäglich passieren, an denen man vorbeiläuft, zum Beispiel Obdachlose. Für uns geht das Leben weiter – wir gehen zur Arbeit und sind in einem anderen Umfeld, beschäftigen uns mit anderen Themen, aber die Person bleibt ja da, wo sie ist. Meistens, wenn man dann nach Hause geht, läuft man wieder an derselben Person vorbei. Mit dem Foto hält man das fest, was man beobachtet. Aber nicht aus dieser Haltung, dass man darüber steht und die Person bemitleidet. Sondern einfach nur neutral sieht: Okay, das gibt es und ich sollte es mit in mein Weltbild ziehen. So auf Augenhöhe. Und man merkt, das ist ein Mensch wie man selbst. Oder auch so Szenen in der Stadt. Wie die Stadt aussieht, juckt die Leute anscheinend nicht. Das ist auch das Zuhause von Leuten.

Du fotografierst ja nicht nur, sondern malst auch. Wie ist es dazu gekommen und seit wann malst du?

Ich habe vergessen, dass ich früher auch bisschen gemalt habe. Meine Mutter hat mich daran erinnert. Und jetzt: Also, wenn ich jetzt nach Hause komme, dann male ich. Wenn ich gerade nichts zu tun habe, dann male ich. Ich bin da gerade voll drin. Seit diesem Jahr ist das der Vibe. Da kann man so viel probieren.

Wie gehst du bei deinen Gemälden vor?

Darüber denke ich momentan viel nach. Ich versuche, Szenen nachzumalen, die ich sehe oder fotografiert habe. Manchmal macht man auch irgendwas, wo man sich denkt, hätte ich das jetzt nicht gemacht, wäre es besser gewesen. Also ich bin gerade im Ausprobieren. 

Probierst du dann auch unterschiedliche Materialien aus?

Momentan hänge ich viel auf der Kombi von Acryl und Ölkreide. Ich mag die Konsistenz und Textur von Acryl. In letzter Zeit habe ich wieder Bock auf Aquarell. Aquarell ist halt super fein und man muss filigran arbeiten. Aber es ist auch cool, weil es eine Challenge ist. Es kommt oft nicht so raus, wie man meistens denkt.

Machst du dir dann schon vor dem Malen einen Plan von dem Gemälde?

Manchmal. Also das Geilste ist, wenn man in den Flow kommt und man nicht mehr nachdenkt, wo nur ein paar Gedanken deinen Kopf streifen. Am coolsten finde ich es, wenn ich Kopfhörer aufhabe und Musik höre. Dann kommen die Ideen und du denkst: Okay, ich mache es so und so. Dann bist du beim ersten Schritt und merkst, wie es ganz anders funktioniert und das liebe ich. Bezüglich dem, was wir anfangs besprochen haben – diese ganzen industriellen Jobs und ihre Komplexität sind sehr schnell durchschaubar – empfinde ich so. Du weißt genau, was du zu tun hast. Beim Malen machst du irgendwas und es verändert sich sofort, du weißt nicht, was als Nächstes kommt.

Genießt du diesen Freiraum und was bedeutet er für dich?

Ja, total. Wenn ich richtig viel Zeit und keine To-dos habe, dann bin ich bei mir und Zeit gibt es nicht. Manchmal nehme ich schon Motive. Vor Kurzem habe ich eine Freundin mit einem Fischkopf gemalt. Eigentlich wollte ich nur die Freundin malen und währenddessen dachte ich mir, “So ein Fischkopf, wie cool wäre das denn” (lacht).

Ich finde, man redet immer über Freiraum. Aber man checkt erst, was es bedeutet, wenn man es macht und für jeden bedeutet Freiraum etwas anderes.

Du hast ja auch bei der Einerseits Session ausgestellt, wie war das für dich und was hast du mitgenommen?

Das war spannend. Viele Friends kamen, das war richtig schön, wie ein großer Geburtstag. Ich raff das immer noch nicht so richtig. Als ich ankam, meinte jemand aus dem Einerseits-Team: Hier, da ist ein Fan für dich (lacht). Das war ein guter Einstieg in den Abend. Aber ich hätte gerne mehr Leute beim Betrachten meiner Bilder beobachtet, das hätte mich sehr interessiert. Ich hätte auch gerne mehr darüber geredet, aber es war so viel los. Es waren nur coole Leute da, das hat den Abend so geprägt. 

Ich habe sogar ein Bild, das Mittlere, verkaufen können. Das erste Bild, das ich überhaupt verkauft habe.

Glückwunsch zum Verkauf! Wie bist du bezüglich der Ausstellung deiner Werke vorgegangen?

Ich hatte die Prototypen mit diesem Muster schon länger. Und dann habe ich gedacht: Ich arbeite daran weiter. Zwei Bilder waren mir zu plakativ, also wurden es drei Teile. Jeder kann verstehen, was er möchte, das finde ich auch interessant. Für mich sind es zwei Energien, die miteinander arbeiten und sich verändern. Es ist halt dual.

Auf deinem Instagram-Account hast du ein Bild, das die Schlagwörter Dualität und Polarität zeigt und sie beschreibt. Was genau bedeutet für dich Dualität und Polarität?

Die Frage, wann ist etwas dual und wann polarisiert etwas, fasziniert mich. Man braucht immer zwei Teile dafür. Ein Verhältnis, das dual ist, kann auch zur Polarität werden und darin münden. In dem Moment, in dem die Teile polar werden, sind die Unterschiede untrennbar. Deswegen können polarisierte Seiten nicht dual werden, weil sie – obwohl sie sich gegenüber liegen – gleich sind. Die Grenzen zwischen Dualität und Polarität sind nicht eindeutig. Man kann es vielleicht nur sehen oder fühlen.

Am Anfang kann etwas polarisiert wirken, aber am Ende ist das Verhältnis von Dualität geprägt. Oder es kann unterschiedlich sein, aber auch gleich. Und das verwirrt mich, interessiert mich aber auch.

Und wie beeinflussen dich Dualität und Polarität bei deiner Kunst?

Irgendwann habe ich angefangen, immer zwei Teile zu malen. Und in Gesprächen ist hervorgekommen, dass Dualität und Polarität ein Thema waren. Bei meinen Bildern kann es aber nicht zu einer Polarität kommen. Auf den Bildern sieht man die Beziehung zwischen den zwei Teilen, die etwas über die Teile an sich aussagt und über dessen Verhältnis zueinander. Man könnte das Werk insgesamt als Spektrum verstehen, aber sie teilen das Spektrum geradlinig, vor allem beim ersten und letzten Bild. Beim mittleren Bild kann man erkennen, wie die zwei Teile ineinander übergehen und zum Schmelzen kommen – das könnte der Anfang der Polarität sein.

Foto Credit: Evelyn Wiedemann

In den Bildern spielt Farbe ja auch eine Rolle. Was bedeutet Farbe für dich?

Mhm, ich wünschte, es würde mir mehr bedeuten. Kunsthistorisch betrachtet ist es ein krasses Handwerk: Die Farben selbst anzumischen, man lernt Farben ganz anders kennen, auch wie Farben mit unterschiedlichen Materialien unterschiedlich reagieren. Farben sind alles. Aber auch das Abhandensein von Farbe ist alles. Man kann Farben aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Ich habe letztens ein Gemälde mit so verschiedenen bunten Köpfen gemalt. Da leiten die Farben zu Formen.

Wie bei Jawlensky oder Van Gogh: Die Farbe gibt die Form.

Apropos große Künstler. Wenn du mit eine:r Künstler:in zusammenarbeiten könntest, wen würdest du wählen?

Alle reden immer über Kandinsky, dass er das Impressionistische oder das Kubistische begründet hat, aber das war einfach: Hilma af Klint. Das ist eine Frau, mit der ich gerne zusammenarbeiten würde. Zu ihren Lebzeiten war sie total underrated, selbst jetzt wird sie noch nicht als große Künstlerin anerkannt. Ihre sphärische Kunst kann auch heutzutage sehr ästhetisch betrachtet werden oder auch in den Zeitgeist fallen. Was verrückt ist, weil sie vor so langer Zeit gemalt hat. Sie meinte, sie hat die Formen und Farben aus ihren Gemälden tatsächlich gesehen. Das hört sich jetzt krass pathetisch an: Aber ich habe ihre Werke gesehen und es gefühlt. Es ist einfach so. Während du die Sache machst, verstehst du es. Mit ihr würde ich gerne sprechen. Obwohl, ich würde einfach gerne mit ihr in einem Raum sein und mich anschweigen, ihr zugucken und selbst auch Sachen machen. Einfach so die Zeit verbringen.

Und was inspiriert dich beim Malen?

Vielleicht langweilig, aber momentan Van Gogh. Oder auch Franz Marc, ach diese ganzen Klassiker, die haben auch verdammt gute Sachen gemacht. Manchmal gibt es so Motive, die langweilig wirken. Aber dann guckt man näher hin und erkennt die Farben und die Formen.

Foto Credit: Evelyn Wiedemann

Du hast schon vorher gemeint, dass du von deinen Fotos malst. Wie würdest du die Beziehung zwischen deiner Fotografie und deiner Malerei beschreiben, trennst du die Bereiche eher?

Ich glaube, ich habe die Beziehung erst jetzt kennengelernt. Manchmal merke ich beim Malen, dass das irgendwie doch nichts wird und ich halte es lieber als Foto fest. Gerade finde ich heraus, welches Motiv, welche Situation sich für was anbietet. Was will ich eigentlich machen, wenn ich male: Will ich abmalen oder nur aus dem Kopf heraus malen. Irgendwo muss man erstmal abmalen, um etwas zu lernen, um dann aus dem Kopf zu malen. Kurz vor der Ausstellung hatte ich so einen Abend: Wow, ich bin verliebt. Verliebt ins Malen. Dieses Gefühl, man lernt etwas gerade kennen und das gefällt einem. Das ist die Liebe, das ist das Wahre.

Welche Projekte stehen in der Fotografie bei dir an?

Ich will was Neues versuchen, vielleicht auch cleaner gehen. Ich werde meistens gefragt, ob ich analog fotografiere, weil meine Bilder oft dreckig bearbeitet sind. Sie sind nicht so scharf und nicht sehr realistisch. Und ich will viel mit Gefühlen arbeiten. Am Ende soll eine Situation vermittelt werden, die man so nicht kennt oder ein Gefühl, das man selten erlebt.

Das Schönste wäre, wenn ich irgendwas mache, was in anderen ein Gefühl auslöst, ohne mit ihnen direkt zu kommunizieren.

Auf welche Projekte bezüglich Malerei können wir uns freuen?

Ich habe so viele Ideen. Ich würde auch gerne mal mit Collagen arbeiten. Eben meinte eine Freundin zu mir, sie sieht es voll, wenn ich die malerischen Formen mit der Fotografie verbinde. Ich will mich aber nicht von anderen Menschen und ihren Ideen verwirren lassen. Bevor ich hierher gekommen bin, habe ich ein Selbstporträt angefangen. Ich habe momentan eine Selbstporträtreihe im Kopf. Es gibt von Schulz von Thun eine Theorie vom inneren Team, das man verschiedene Anteile hat. Das wird viel in der Psychotherapie genutzt. Irgendwie habe ich Bock, diese Anteile zu visualisieren.

Das heißt, du willst Kunst und Psychologie verbinden?

Ja, klar. Psychologie schwingt aber auch immer mit. Beispielsweise dieses Buch über Borderline, was Dana auf der Einerseits-Veranstaltung ausgestellt hat. Wie sie es gestaltet hat, hat mich sehr berührt. Beschäftige dich mit den Themen, wenn du Bock darauf hast. Mach mal so ein Buch erstmal.

Gibt es noch eine Frage, die du noch gestellt bekommen möchtest? Und wenn ja, welche? Es muss auch nicht eine Frage sein, es kann auch etwas sein, das du noch loswerden willst.

(Überlegt) Ich glaube, was noch ein Thema ist, ist, dass Leute gatekeepen und sich zu cool fühlen. Manchmal denken “Ich bin zu cool für das oder zu cool, um mit den Leuten zu hängen”. Die spielen mit ihrem Ego. Ich frage mich, ob das generell der Szene geschuldet ist und ob das generell wichtig ist für verschiedene Szenen. Manchmal finde ich es schwierig, wenn es viel um das nach außen geht oder wie man sich gibt. Diese unausgesprochenen Regeln, an die man sich immer halten sollte. Das ist so kontraproduktiv und schlimm für alles, was lebt. Was sind schon Regeln?

Stimmt, Konventionen sind da, um sie zu brechen.

Aber dann bilden sich immer wieder neue Konventionen, es ist irgendwie so iterativ, es geht immer weiter. Es ist wichtig, dass man sich selbst beobachtet und erwischt. Es kommt vor, dass man auch wieder in einem Muster ist, aus dem man dann wieder ausbrechen muss. Es hilft, wenn man wirklich in eine andere Situation rausgeht und dann wieder in die Situation zurückkommt. Dann kann man es anders betrachten.

Gibt es eine Regel, die du brechen willst?

Warum ist es so, wenn ein Mann oberkörperfrei durch die Stadt geht, ist es okay, aber bei einer Frau nicht. Und das sogar festgehalten ist, dass die Frau den Verkehr damit behindern kann, like I don’t get it. Check ich nicht.

Dann habe ich zuletzt noch eine Frage für dich von Alex Simonov, unserem letzten Interviewpartner: Hat das Sinn oder macht es Sinn?

Es kann und darf Sinn ergeben, aber es ist einfacher, nach einem Zweck zu suchen.

Liebe Evelyn, vielen lieben Dank für dieses schöne Interview und dafür, dass du mit uns deine Gedanken zu deinen Werken geteilt hast. Und an alle, die bis hier gelesen haben, unterstützt Evelyn gerne auf ihrem künstlerischen Werdegang.

Ihr findet Evelyns Fotografie und Malerei auf Instagram.

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Evelyn Wiedemann ist eine vielseitige Künstlerin. Sie fotografiert nicht nur, sondern malt auch mit Leidenschaft und zeigt das in ihren genauso vielseitigen Gemälden. Ich durfte Evelyn im schönen Wiesbaden interviewen und mehr zu ihrer Person und Kunst erfahren. Besucher:innen unserer Einerseits Session kennen Evelyns Werke bereits. Wer sie jedoch noch nicht kennt, ist hiermit herzlich eingeladen, die künstlerische Persönlichkeit hinter Kamera und Pinsel kennenzulernen und ihren Werdegang zu verfolgen.

Hallo Evelyn, stell dich gerne kurz vor. Wer bist du und was machst du?

Hallo, ich bin Evelyn und studiere eigentlich in Wiesbaden, aber ich bin gerade dabei, den Studiengang zu wechseln. Ich versuche durch Fotografie und Malerei selten empfundene Stimmungen festzuhalten.

Erstmal zu deiner Fotografie. Wie kam es bei dir zur Fotografie?

Als ich 13 Jahre alt war, war ich mit einer Freundin unterwegs, die eine Spiegelreflexkamera zur Konfirmation bekommen hat’. Ich habe sie mir ausgeliehen und bin damit nach Hause gekommen. Meine Mutter meinte, wir können sie unmöglich behalten. Aber ich wollte unbedingt eine Kamera haben. Dann habe ich mein Weihnachtsgeschenk schon im Oktober bekommen. Irgendwie hat da alles angefangen. Immer, wenn ich mich mit Freundinnen getroffen habe, haben wir unsere Kameras mitgenommen und fotografiert. Wir haben den Shit gemacht, worauf wir Bock hatten – was wir auf Tumblr gesehen haben, was man so cool fand damals. Wir haben uns immer selbst gegenseitig fotografiert.

Es ist mir aufgefallen, dass auf deinem Instagram-Account vor allem Porträtfotos und generell der Mensch zu sehen sind. Was fasziniert dich an diesem Motiv?

Ich weiß nicht warum, aber ich wollte mich früher immer von Porträtfotograf:innen abgrenzen. Dann habe ich mal geguckt, was ich selbst mache. Das sind fast nur Porträts (lacht).

Warum wolltest du dich abgrenzen? Sind Porträtfotos zu typisch?

Ja, ich weiß nicht. Ich versuche halt meistens, wenn ich mit Leuten shoote, deren Vibe festzuhalten. Oder irgendeinen Vibe, den sie auch fühlen. Zum Beispiel bei meiner Mitbewohnerin, die Bratsche spielt und in der Klassik-Szene unterwegs ist. Wenn man mit ihr darüber spricht, erzählt sie von ganz anderen Regeln, die da existieren. Verhalten spielt da eine große Rolle und Sachen, über die wir uns nicht so viele Gedanken machen. 

Hast du dafür ein Beispiel?

Tattoos sind da so ein Ding oder mit welchem Outfit du zum Üben ins Theater gehst. Ziehst du eine Adibreak an oder nicht. Das ist schon eine Entscheidung.

Und konnte sie dann bei eurem Foto-Shooting freier sein?

Voll. Ich wusste das nicht mal, es hat mich so überrascht, was sie geben kann. Das ist oft so. Wenn ich davor mit den Menschen schnacke und etwas über sie erfahre, dann ist der Zugang da. Man merkt, wie man sich so fühlt. 

Also ist dir die Beziehung zwischen Fotografin und Model sehr wichtig?

Ja, ich finde es am nicesten, wenn man etwas von der Person weiß. Dann weiß man, was ihr taugen könnte. Was ergänzt jetzt die Situation oder das Bild, was für einen Vibe kann man aus der Person rauskitzeln? Oder auch, um Gegensätze auszuprobieren. Ich habe mal Bilder von Johanna gemacht, wie sie im schwarzen Adidas-Anzug auf einer Blumenwiese chillt. Das sieht dreamy und sweet aus.

Wie wichtig ist die Location bei der Fotosession?

Kommt darauf an. Zum Beispiel habe ich mit meiner Mitbewohnerin so Art Jahrbuchfotos gemacht. Und ich finde es auch nice, wenn man so plain einen Hintergrund hat. Dann kann man gucken, was man vor der Kamera macht. Ich wollte auch so eine Collage erstellen, wo ein nacktes Girl ihren eigenen Kopf hält und vor ihr liegen viele Köpfe von ihr. Da geht es dann mehr um die Sache. Oder wenn man viel mit Emotionen arbeitet – da braucht man nicht so viel Hintergrund. Ich mag es, auf eine Sache viel Betonung zu legen – ich weiß nicht, ob ich das so pauschalisieren kann.

Eigentlich war ich die ganze Zeit im Malmodus, aber jetzt hat es mich doch wieder gepackt, weil ich Bilder von einem Theaterstück bearbeitet habe. Morgen gehe ich mit einer Freundin an den Rhein, da waren wir letztens schon. Und die Sonne setzt sich da super besonders. Das Wasser und der Himmel haben so eine lila-blau-orangene Farbpalette. Da ist zum Beispiel die Szene wieder wichtig und das Zusammenspiel mit dem Model. Ich will das so ein bisschen naturell machen, mit der femininen Energie spielen – sehr zart, sehr sweet, einfach schön. Vielleicht so in die Richtung der Venus, die aus dem Wasser steigt. Ich habe zwei Models, zwei Girls und wenn die sich trauen, das nackt zu machen, diese zarte Weiblichkeit festzuhalten, mit dem ganzen Licht... Das Licht dort ist auch verrückt, es ist einfach lila, wenn die Sonne untergeht.

Du hast vorhin erzählt, du hast bei einem Theaterstück fotografiert. Wie war das für dich?

Das war super interessant. Wann kriegt man denn schon solche Bilder? Wie Leute in diesen Szenen diese Emotion spielen. Es passiert so selten, dass man das festhalten darf. 

Wie kam es dazu?

Über meine Mitbewohnerin. Ein Freund von ihr hat noch nach eine:r Fotograf:in gesucht und dann kam es dazu. Es ist einfach spannend, in was für Kreise man eintauchen darf.

Was war für dich die interessanteste Emotion, die du festhalten durftest?

(Überlegt) Dort oder generell?

Gerne beides.

Um es herunterzubrechen: Im Theaterstück ging es um Wahrheit. Eine Person meinte, nur durch Wahrheit kann man das echte Leben erfahren. Die andere Person hat sich in Träumen verloren und sich vor der Wahrheit mit einem Gerüst versteckt. Das Gerüst wurde mit Kartons inszeniert. Dann ist er durch die Kartons gebrochen, als er die Wahrheit erfahren hat. Wenn man das hört, könnte man denken “okay, er ist durch Kartons gesprungen”, aber wenn du da bist, in diesem dunklen Raum und das Licht scheint nur auf diese Person... die haben total viel mit der Lichtstimmung gespielt. Dann bricht er plötzlich aus. Dieses Entsetzen und diese Überraschung. Die Person ist so in ihrer Emotion gefangen. 

Und wie ist es generell für dich, Emotionen zu fotografieren?

Ich habe mal mit einer Freundin Musikvideos zu einem Musikerduo aus Offenbach filmen wollen. Der Film sollte chaotische Gefühle vermitteln. Dass man individuellen Schmerz sieht, wie aus Liebeskummer heraus – jeder kennt es – aber bei jeder Person ist es trotzdem anders. Und wenn er wieder weg ist, vergisst man, wie er sich anfühlt. Die Szenen von ihr zeigen als Keyframes, wie sie ihr Gesicht richtig verzerrt und daran zieht. Das war mega nice. Da konnte ich auch sagen: “Fühl dich mal da rein”. Ich habe ihr auch gezeigt, wie ich die Gefühle fühle. Sie hat es sofort gecheckt.

Es macht am meisten Spaß, wenn man so auf einer Wave ist.

Foto Credit: Philipp Nguyen

Nach der Fotosession bearbeitest du ja dann auch deine Bilder, wo und wann bearbeitest du sie?

Am meisten bei mir zu Hause. Es ist eher selten, dass ich es zwischendurch mache – da kann man sich nicht so darauf einlassen. Ich probiere viel aus bei der Bearbeitung. Ich habe meine Routine, wie ich zu dem Ergebnis komme, das ich erreichen will. Aber manchmal ist es doch nicht so ganz das. Man braucht dafür den Raum und die Zeit, um sich auszuprobieren.

Was gefällt dir lieber, die Fotosession oder die Bearbeitung hinterher?

Safe die Fotosession. Also das sind beides zwei Moods. Das ist bei mir eine kleine Tragödie: Das Produzieren mag ich sehr, aber die Bearbeitung finde ich anstrengend. Da muss ich noch in Einklang kommen. Ich dachte auch eine zeitlang “okay du wirst jetzt miese Musikvideos drehen”. Das Filmen macht mir Spaß, aber das Schneiden und die ganzen Transitions… Da bist du den ganzen Tag in einem grauen Raum. Das wird immer so romantisiert, aber es ist sehr stressig.

Hattest du mal einen interessanten oder auch komischen Moment bei einer Fotosession, den du gerne teilen willst?

Ich finde es immer wieder nervig, wenn man mit Männern shootet, dass es als Date-Situation ausgelegt werden kann

Das ist schon häufiger passiert, oder?

Ja, oder ein anderer unangenehmer Moment: Ich habe mal bei Radio Frankfurt ein Social Media Praktikum gemacht. Zum 75. Geburtstag des ICE gab es eine super tolle Lok am Frankfurt Hauptbahnhof. An dem Tag hatte ich eine aggressive Stimmung und hatte Liz (Anm. der Redaktion: Rapperin aus Frankfurt) auf den Ohren. Da bin ich hin gestampft. Hatte kein Presseausweis, nichts dabei. Der Türsteher wollte mich zuerst nicht durchlassen. Dann meinte ich – vielleicht war ich bisschen zickig – ich werde ja auf jeden Fall nichts machen außer paar Fotos. Dann stand ich da, ich konnte einfach nur ein paar Fotos machen und abziehen. Es war halt eine Veranstaltung von alten weißen Männern. Mein Schuh war wohl offen und ich hatte Kopfhörer drin. Ein Mann hat mich darauf hingewiesen, war ja ganz nett. Aber dann meinte er, warum ich denn hinter der Kamera stehe, ich sollte eher davor stehen. Let me do my Job. Das nimmt einem halt jede Seriosität. Ich meine, ich bin da jetzt nicht seriös aufgetreten. 

Naja, muss man das? 

Was ist auch Seriosität? Da waren halt die ganzen Fotografen – ich gender bewusst nicht – die für all diese regionalen Zeitschriften fotografieren.

Wie gehst du mit diesen ganzen Fotografen um?

Ich bin halt da.

Ich will gar nicht so in die Schiene gehen. Vielleicht kreist man das Thema nochmal ein: Es ist ja immer voll das Spannungsverhältnis zwischen Models und Fotograf:innen. In der Geschichte ist es noch geprägt von Fotografen. Es kommen ja immer wieder Stories von Models, was wirklich passiert. Das macht was mit der Branche. Gleichzeitig schwingt was Sexuelles mit. Auch wenn es sexuelle Themen gibt, die man behandeln möchte, es muss aber nicht sexuell werden.

Findest du, dass die Fotografie heute immer noch einen sehr männlichen Blick hat?

Total. Das Auge stellt immer die Szenen dar, die schon immer gesehen wurden. Wenn ich bei Instagram den 10.000ten Lingerie-Fotografen sehe, dann hinterfrage ich seine Daseinsberechtigung. Also okay, es darf dich interessieren. Aber wie oft hat man das schon gesehen? Das ist der männliche Blick. Wenn ich Frauen nackt fotografiere, sind das einfach zwei verschiedene Perspektiven. Je mehr Menschen generell in die Branche eintreten und repräsentiert werden, ermöglicht das einem mehr Perspektiven.

Wie sind gerade die Zugänge in die Branche?

Ich glaube, das kommt auf die Bubble an. Letztens habe ich ein Jobangebot bekommen, wo ich Leute für Werbefotos casten sollte – so von der Straße. Da sollte nur die weiße Mehrheitsgesellschaft repräsentiert werden. Das ist halt leider immer noch gefragt. Wenn man das Angebot konsequent ändert, wäre es cooler. Vor allem die industrielle Branche hat noch alte Strukturen, die auch so schwer sind loszulassen.

Über dieses Thema könnten wir stundenlang reden, und das ist natürlich auch wichtig. Lass uns allerdings wieder zurück zu deiner Fotografie kommen: Was willst du mit deinen Fotos ausdrücken?

Eigentlich ist es, glaube ich, ziemlich simpel und gar nicht so tiefsinnig: einfach, worauf ich in diesem Moment Bock habe. In letzter Zeit frage ich mich, was digitale Fotografie noch Wert ist, wenn man tausend Bilder machen kann.

 Ich kann es löschen, ich kann es wieder aus dem Papierkorb ziehen.

Darum wollte ich mir mal eine analoge Kamera anschaffen und reale Bilder abbilden. Irgendwie gibt es so viele Sachen, die man ausdrücken kann. Also Street-Photography habe ich auch mal gemacht. Aber ich habe ein Problem damit, weil ich nicht in die Privatsphäre anderer eindringen will, um Fotos zu machen. Darum inszeniere ich lieber – da ist alles abgeklärt, jeder ist okay damit.

Was genau meinst du mit realen Bildern?

Sachen, die tagtäglich passieren, an denen man vorbeiläuft, zum Beispiel Obdachlose. Für uns geht das Leben weiter – wir gehen zur Arbeit und sind in einem anderen Umfeld, beschäftigen uns mit anderen Themen, aber die Person bleibt ja da, wo sie ist. Meistens, wenn man dann nach Hause geht, läuft man wieder an derselben Person vorbei. Mit dem Foto hält man das fest, was man beobachtet. Aber nicht aus dieser Haltung, dass man darüber steht und die Person bemitleidet. Sondern einfach nur neutral sieht: Okay, das gibt es und ich sollte es mit in mein Weltbild ziehen. So auf Augenhöhe. Und man merkt, das ist ein Mensch wie man selbst. Oder auch so Szenen in der Stadt. Wie die Stadt aussieht, juckt die Leute anscheinend nicht. Das ist auch das Zuhause von Leuten.

Du fotografierst ja nicht nur, sondern malst auch. Wie ist es dazu gekommen und seit wann malst du?

Ich habe vergessen, dass ich früher auch bisschen gemalt habe. Meine Mutter hat mich daran erinnert. Und jetzt: Also, wenn ich jetzt nach Hause komme, dann male ich. Wenn ich gerade nichts zu tun habe, dann male ich. Ich bin da gerade voll drin. Seit diesem Jahr ist das der Vibe. Da kann man so viel probieren.

Wie gehst du bei deinen Gemälden vor?

Darüber denke ich momentan viel nach. Ich versuche, Szenen nachzumalen, die ich sehe oder fotografiert habe. Manchmal macht man auch irgendwas, wo man sich denkt, hätte ich das jetzt nicht gemacht, wäre es besser gewesen. Also ich bin gerade im Ausprobieren. 

Probierst du dann auch unterschiedliche Materialien aus?

Momentan hänge ich viel auf der Kombi von Acryl und Ölkreide. Ich mag die Konsistenz und Textur von Acryl. In letzter Zeit habe ich wieder Bock auf Aquarell. Aquarell ist halt super fein und man muss filigran arbeiten. Aber es ist auch cool, weil es eine Challenge ist. Es kommt oft nicht so raus, wie man meistens denkt.

Machst du dir dann schon vor dem Malen einen Plan von dem Gemälde?

Manchmal. Also das Geilste ist, wenn man in den Flow kommt und man nicht mehr nachdenkt, wo nur ein paar Gedanken deinen Kopf streifen. Am coolsten finde ich es, wenn ich Kopfhörer aufhabe und Musik höre. Dann kommen die Ideen und du denkst: Okay, ich mache es so und so. Dann bist du beim ersten Schritt und merkst, wie es ganz anders funktioniert und das liebe ich. Bezüglich dem, was wir anfangs besprochen haben – diese ganzen industriellen Jobs und ihre Komplexität sind sehr schnell durchschaubar – empfinde ich so. Du weißt genau, was du zu tun hast. Beim Malen machst du irgendwas und es verändert sich sofort, du weißt nicht, was als Nächstes kommt.

Genießt du diesen Freiraum und was bedeutet er für dich?

Ja, total. Wenn ich richtig viel Zeit und keine To-dos habe, dann bin ich bei mir und Zeit gibt es nicht. Manchmal nehme ich schon Motive. Vor Kurzem habe ich eine Freundin mit einem Fischkopf gemalt. Eigentlich wollte ich nur die Freundin malen und währenddessen dachte ich mir, “So ein Fischkopf, wie cool wäre das denn” (lacht).

Ich finde, man redet immer über Freiraum. Aber man checkt erst, was es bedeutet, wenn man es macht und für jeden bedeutet Freiraum etwas anderes.

Du hast ja auch bei der Einerseits Session ausgestellt, wie war das für dich und was hast du mitgenommen?

Das war spannend. Viele Friends kamen, das war richtig schön, wie ein großer Geburtstag. Ich raff das immer noch nicht so richtig. Als ich ankam, meinte jemand aus dem Einerseits-Team: Hier, da ist ein Fan für dich (lacht). Das war ein guter Einstieg in den Abend. Aber ich hätte gerne mehr Leute beim Betrachten meiner Bilder beobachtet, das hätte mich sehr interessiert. Ich hätte auch gerne mehr darüber geredet, aber es war so viel los. Es waren nur coole Leute da, das hat den Abend so geprägt. 

Ich habe sogar ein Bild, das Mittlere, verkaufen können. Das erste Bild, das ich überhaupt verkauft habe.

Glückwunsch zum Verkauf! Wie bist du bezüglich der Ausstellung deiner Werke vorgegangen?

Ich hatte die Prototypen mit diesem Muster schon länger. Und dann habe ich gedacht: Ich arbeite daran weiter. Zwei Bilder waren mir zu plakativ, also wurden es drei Teile. Jeder kann verstehen, was er möchte, das finde ich auch interessant. Für mich sind es zwei Energien, die miteinander arbeiten und sich verändern. Es ist halt dual.

Auf deinem Instagram-Account hast du ein Bild, das die Schlagwörter Dualität und Polarität zeigt und sie beschreibt. Was genau bedeutet für dich Dualität und Polarität?

Die Frage, wann ist etwas dual und wann polarisiert etwas, fasziniert mich. Man braucht immer zwei Teile dafür. Ein Verhältnis, das dual ist, kann auch zur Polarität werden und darin münden. In dem Moment, in dem die Teile polar werden, sind die Unterschiede untrennbar. Deswegen können polarisierte Seiten nicht dual werden, weil sie – obwohl sie sich gegenüber liegen – gleich sind. Die Grenzen zwischen Dualität und Polarität sind nicht eindeutig. Man kann es vielleicht nur sehen oder fühlen.

Am Anfang kann etwas polarisiert wirken, aber am Ende ist das Verhältnis von Dualität geprägt. Oder es kann unterschiedlich sein, aber auch gleich. Und das verwirrt mich, interessiert mich aber auch.

Und wie beeinflussen dich Dualität und Polarität bei deiner Kunst?

Irgendwann habe ich angefangen, immer zwei Teile zu malen. Und in Gesprächen ist hervorgekommen, dass Dualität und Polarität ein Thema waren. Bei meinen Bildern kann es aber nicht zu einer Polarität kommen. Auf den Bildern sieht man die Beziehung zwischen den zwei Teilen, die etwas über die Teile an sich aussagt und über dessen Verhältnis zueinander. Man könnte das Werk insgesamt als Spektrum verstehen, aber sie teilen das Spektrum geradlinig, vor allem beim ersten und letzten Bild. Beim mittleren Bild kann man erkennen, wie die zwei Teile ineinander übergehen und zum Schmelzen kommen – das könnte der Anfang der Polarität sein.

Foto Credit: Evelyn Wiedemann

In den Bildern spielt Farbe ja auch eine Rolle. Was bedeutet Farbe für dich?

Mhm, ich wünschte, es würde mir mehr bedeuten. Kunsthistorisch betrachtet ist es ein krasses Handwerk: Die Farben selbst anzumischen, man lernt Farben ganz anders kennen, auch wie Farben mit unterschiedlichen Materialien unterschiedlich reagieren. Farben sind alles. Aber auch das Abhandensein von Farbe ist alles. Man kann Farben aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Ich habe letztens ein Gemälde mit so verschiedenen bunten Köpfen gemalt. Da leiten die Farben zu Formen.

Wie bei Jawlensky oder Van Gogh: Die Farbe gibt die Form.

Apropos große Künstler. Wenn du mit eine:r Künstler:in zusammenarbeiten könntest, wen würdest du wählen?

Alle reden immer über Kandinsky, dass er das Impressionistische oder das Kubistische begründet hat, aber das war einfach: Hilma af Klint. Das ist eine Frau, mit der ich gerne zusammenarbeiten würde. Zu ihren Lebzeiten war sie total underrated, selbst jetzt wird sie noch nicht als große Künstlerin anerkannt. Ihre sphärische Kunst kann auch heutzutage sehr ästhetisch betrachtet werden oder auch in den Zeitgeist fallen. Was verrückt ist, weil sie vor so langer Zeit gemalt hat. Sie meinte, sie hat die Formen und Farben aus ihren Gemälden tatsächlich gesehen. Das hört sich jetzt krass pathetisch an: Aber ich habe ihre Werke gesehen und es gefühlt. Es ist einfach so. Während du die Sache machst, verstehst du es. Mit ihr würde ich gerne sprechen. Obwohl, ich würde einfach gerne mit ihr in einem Raum sein und mich anschweigen, ihr zugucken und selbst auch Sachen machen. Einfach so die Zeit verbringen.

Und was inspiriert dich beim Malen?

Vielleicht langweilig, aber momentan Van Gogh. Oder auch Franz Marc, ach diese ganzen Klassiker, die haben auch verdammt gute Sachen gemacht. Manchmal gibt es so Motive, die langweilig wirken. Aber dann guckt man näher hin und erkennt die Farben und die Formen.

Foto Credit: Evelyn Wiedemann

Du hast schon vorher gemeint, dass du von deinen Fotos malst. Wie würdest du die Beziehung zwischen deiner Fotografie und deiner Malerei beschreiben, trennst du die Bereiche eher?

Ich glaube, ich habe die Beziehung erst jetzt kennengelernt. Manchmal merke ich beim Malen, dass das irgendwie doch nichts wird und ich halte es lieber als Foto fest. Gerade finde ich heraus, welches Motiv, welche Situation sich für was anbietet. Was will ich eigentlich machen, wenn ich male: Will ich abmalen oder nur aus dem Kopf heraus malen. Irgendwo muss man erstmal abmalen, um etwas zu lernen, um dann aus dem Kopf zu malen. Kurz vor der Ausstellung hatte ich so einen Abend: Wow, ich bin verliebt. Verliebt ins Malen. Dieses Gefühl, man lernt etwas gerade kennen und das gefällt einem. Das ist die Liebe, das ist das Wahre.

Welche Projekte stehen in der Fotografie bei dir an?

Ich will was Neues versuchen, vielleicht auch cleaner gehen. Ich werde meistens gefragt, ob ich analog fotografiere, weil meine Bilder oft dreckig bearbeitet sind. Sie sind nicht so scharf und nicht sehr realistisch. Und ich will viel mit Gefühlen arbeiten. Am Ende soll eine Situation vermittelt werden, die man so nicht kennt oder ein Gefühl, das man selten erlebt.

Das Schönste wäre, wenn ich irgendwas mache, was in anderen ein Gefühl auslöst, ohne mit ihnen direkt zu kommunizieren.

Auf welche Projekte bezüglich Malerei können wir uns freuen?

Ich habe so viele Ideen. Ich würde auch gerne mal mit Collagen arbeiten. Eben meinte eine Freundin zu mir, sie sieht es voll, wenn ich die malerischen Formen mit der Fotografie verbinde. Ich will mich aber nicht von anderen Menschen und ihren Ideen verwirren lassen. Bevor ich hierher gekommen bin, habe ich ein Selbstporträt angefangen. Ich habe momentan eine Selbstporträtreihe im Kopf. Es gibt von Schulz von Thun eine Theorie vom inneren Team, das man verschiedene Anteile hat. Das wird viel in der Psychotherapie genutzt. Irgendwie habe ich Bock, diese Anteile zu visualisieren.

Das heißt, du willst Kunst und Psychologie verbinden?

Ja, klar. Psychologie schwingt aber auch immer mit. Beispielsweise dieses Buch über Borderline, was Dana auf der Einerseits-Veranstaltung ausgestellt hat. Wie sie es gestaltet hat, hat mich sehr berührt. Beschäftige dich mit den Themen, wenn du Bock darauf hast. Mach mal so ein Buch erstmal.

Gibt es noch eine Frage, die du noch gestellt bekommen möchtest? Und wenn ja, welche? Es muss auch nicht eine Frage sein, es kann auch etwas sein, das du noch loswerden willst.

(Überlegt) Ich glaube, was noch ein Thema ist, ist, dass Leute gatekeepen und sich zu cool fühlen. Manchmal denken “Ich bin zu cool für das oder zu cool, um mit den Leuten zu hängen”. Die spielen mit ihrem Ego. Ich frage mich, ob das generell der Szene geschuldet ist und ob das generell wichtig ist für verschiedene Szenen. Manchmal finde ich es schwierig, wenn es viel um das nach außen geht oder wie man sich gibt. Diese unausgesprochenen Regeln, an die man sich immer halten sollte. Das ist so kontraproduktiv und schlimm für alles, was lebt. Was sind schon Regeln?

Stimmt, Konventionen sind da, um sie zu brechen.

Aber dann bilden sich immer wieder neue Konventionen, es ist irgendwie so iterativ, es geht immer weiter. Es ist wichtig, dass man sich selbst beobachtet und erwischt. Es kommt vor, dass man auch wieder in einem Muster ist, aus dem man dann wieder ausbrechen muss. Es hilft, wenn man wirklich in eine andere Situation rausgeht und dann wieder in die Situation zurückkommt. Dann kann man es anders betrachten.

Gibt es eine Regel, die du brechen willst?

Warum ist es so, wenn ein Mann oberkörperfrei durch die Stadt geht, ist es okay, aber bei einer Frau nicht. Und das sogar festgehalten ist, dass die Frau den Verkehr damit behindern kann, like I don’t get it. Check ich nicht.

Dann habe ich zuletzt noch eine Frage für dich von Alex Simonov, unserem letzten Interviewpartner: Hat das Sinn oder macht es Sinn?

Es kann und darf Sinn ergeben, aber es ist einfacher, nach einem Zweck zu suchen.

Liebe Evelyn, vielen lieben Dank für dieses schöne Interview und dafür, dass du mit uns deine Gedanken zu deinen Werken geteilt hast. Und an alle, die bis hier gelesen haben, unterstützt Evelyn gerne auf ihrem künstlerischen Werdegang.

Ihr findet Evelyns Fotografie und Malerei auf Instagram.

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