Artist on the rise!

Newcomerin Ailimé im Interview

Fotos:
Emilia Rindchen
Emilia und Rahel schauen in die Kamera
Emilia und Rahel im Café Klatsch
Emilia während des Interviews
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Musik, Tattoos, Psychologie – Das sind die drei Grundsäulen der Newcomerin Emilia. Unter ihrem Pseudonym „Ailimé“ veröffentlicht sie noch diesen November ihre erste EP „Sodalith“ – 3 Songs, die seit geraumer Zeit in Planung waren und unter Zusammenarbeit mit ihren Produzenten Modem und Lerchvin nun das Licht der Welt erblicken dürfen.

Bei Olivencreme und Radler im Café Klatsch sprechen wir unter anderem über die Entstehung ihrer EP, die therapeutische Kraft von Kunst und über das Gefühl, in der aktuellen Zeit des Russland-Ukraine-Konflikts als Frau mit russischen Wurzeln in Deutschland zu leben.

Emilia Portrait
Foto Credit: Emilia Rindchen

Hi Emilia! Wie geht es dir?

Mir geht es gut, ich bin mega neugierig, was heute auf mich zukommt, weil das mein allererstes Interview ist. Also generell in meinem Leben. Ich freue mich!

Ich freue mich auch sehr! Stell dich gern allgemein vor; wer bist du, was machst du, wo kommst du her?

Ich bin Emilia und bin gerade 23 geworden. Ich komme ursprünglich aus Potsdam, studiere jetzt aber Psychologie in Leipzig. Ich mache Musik und steche Tattoos.

Dann starten wir mal mit der Musik. Wo würdest du dich musikalisch einordnen?

Ich glaube, dass es richtig schwer ist, sich direkt am Anfang einzuordnen, da man sich ja erst mal ein bisschen ausprobieren muss. Wohinter stehe ich? Wohinter stehe ich auch in der Öffentlichkeit? Was passt zu mir? Und was kommt auch gut an? Aber der aktuelle Stand meiner EP ist, dass ich in Richtung Hip-Hop, Lo-Fi, RnB und Soul gehe. Ein Track ist aber auch dabei, der ein bisschen Richtung House geht.

Hast du musikalische Idole, die dich inspirieren?

Auf jeden Fall! Rein musikalisch sind meine größten Idole Mahalia, Greentea Peng, IAMDDB oder Princess Nokia. Vom Vibe her würde ich aber gerne etwas ausstrahlen wie die Deutschrapperinnen Juju, Loredana oder badmomzjay.

Wie kam es dazu, dass du selbst Musik gemacht hast?

Ich bin in einem Umfeld in Potsdam aufgewachsen, in dem sehr viele junge Leute Kunst machen, vor allem Musik. Es kam zufällig über Freund:innen dazu, dass ich mit Produzent:innen connectet habe. Das war aber erst mal auf einer freundschaftlichen Ebene und wir haben eher Spaß-Tracks gemacht. Als wir uns das dann aber angehört haben, waren wir alle ein bisschen baff, dass das eigentlich ganz gut klingt. Von da an wurde es immer ernster und immer mehr Menschen kamen in das Projekt rein: Kameraleute, manche wollten bei einem Musikvideo helfen, neue Produzent:innen und Artists, die ein Feature mit mir machen wollten. Es war gar nicht so wie bei den meisten, dass ich seit klein auf schon immer viel gesungen habe oder dass meine ganze Familie Musik gemacht hat.

Es wurde einfach zufällig immer, immer größer.

Deine erste EP wurde von Modem und Lerchvin produziert. Sind das auch welche von den eben genannten Kontakten aus Potsdam?

Ja, genau. Lerchvin ist mein Ex-Freund. Durch ihn bin ich an den Kontakt mit Modem gekommen. Modem war auch der, mit dem wir diesen Spaß-Track aufgenommen haben. Potsdam ist einfach ziemlich connected. Es hat sich später dann auch herausgestellt, dass Modem meine große Schwester kannte.

Wie war die Erfahrung für dich, professionell Musik zu produzieren und aufzunehmen?

Die groben Versionen der Tracks auf der EP entstanden übers iPad in einer Session von einer halben Stunde. Als es dann professioneller wurde und Modem und ich gemerkt haben, dass wir gut zusammenarbeiten können, mussten wir alles nochmal neu aufnehmen. Das war dann natürlich mit einem richtigen Mic. Auf mich hat das total Druck ausgeübt. Es ging ja nicht nur darum, etwas Neues zu produzieren, sondern auch darum, etwas zu reproduzieren, das schon da war und womit ich auch wirklich zufrieden war. Ich war super aufgeregt, das erste Mal mit Mikro zu singen. Man hört jede Atmung, das ist etwas ganz anderes als mit einem iPad. Es war eine ganz aufregende Erfahrung für mich.

Was bedeutet deine EP für dich? Das ist ja deine erste Veröffentlichung überhaupt.

Ich bin einfach mega mega gespannt, was passiert! In der Vergangenheit war ich nie Fan davon, bereits bestehende Sachen zu präsentieren, das war mir eher unangenehm. Aber jetzt, wo ich meine eigenen Songs habe und da auch wirklich hinter stehen kann, bin ich dahingehend viel mutiger. Ich freue mich wirklich, etwas zu veröffentlichen, das schon so lange in Planung war. Das ist mega aufregend.

Man will es einfach endlich rausbringen und den Leuten zeigen: „Ey, ich hab was, ziehts ́ euch rein! Es wird euch bestimmt gefallen!“

Zu dem Track „Lies“ gibt es ein Musikvideo. Wie war der Entstehungsprozess?

Ich habe auf einer Fahrt von Berlin nach Frankfurt ganz zufällig Nico, einen Kameramann aus Leipzig, kennengelernt. Dann kam noch Emilia dazu, sie hat assistiert und eigentlich überall mitgeholfen. Auch bei der Ideensammlung bezüglich dessen, wie wir Szenarien verbildlichen wollen und was wir vermitteln möchten. Eine andere Freundin, Jelena, die eine Schauspielausbildung gemacht hat, aber jetzt auch in Richtung Musikvideo Management gehen möchte, kam auch dazu. Es ist einfach mega cool, dass alle sich freiwillig beteiligt haben und jede:r etwas davon hat.

Ich finde, es ist am schönsten, wenn Projekte zufällig über Freund:innen zustande kommen, alle die Expertise aus ihrem Bereich mitbringen und wir uns in der Mitte treffen.

Emilias Beschreibung ihrer musikalischen Laufbahn klingt bis jetzt vor allem eins: harmonisch. Leider etwas, für das Teile der Hip-Hop Szene nicht unbedingt bekannt sind. Unlängst machte Nika Irani durch Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber einem Rapper auf strukturellen Sexismus in der Hip-Hop-Szene, aber auch in der Gesellschaft aufmerksam und brachte somit eine Bewegung ins Rollen, der sich immer mehr Frauen anschlossen: #deutschrapmetoo. Auch Emilia kann trotz ihrer kurzen Karriere schon jetzt von sexistischen Erfahrungen innerhalb der Szene berichten. So hieße es nach ihrem ersten Auftritt in der Anomalie aus manchen Ecken, sie müsse arroganter rüber kommen, ihr Style wäre zu „Tom-Boy“, sie solle mehr von ihren weiblichen Reizen zeigen, um mehr Reichweite zu ziehen. Während ihrer Erzählungen wirkt sie dennoch selbstsicher und klar in ihrer Position: nicht mit mir.

Emilia beim Auftritt
Foto: Katharina de Fries

In einem deiner Songs thematisiert du unter anderem Therapie. Verarbeitest du in deinen Texten auch persönliche Erlebnisse?

Ja, total. Das habe ich ehrlich gesagt auch schon lange bevor ich richtige Songs geschrieben habe, gemacht. Ich habe mir immer House-Sets oder Hip-Hop-Sets ohne Vocals angehört und dann einfach vor mich hingesungen, mir Melodien und Texte ausgedacht, und so Dinge verarbeitet. So habe ich quasi aus Versehen automatisch für genau diese Karriere geübt, die ich jetzt anfange. Musik war für mich am Anfang auch eher ein Kommunikationsmittel, damit sich vielleicht Leute den Track anhören, denen ich bestimmte Sachen nicht ins Gesicht sagen kann. Ich verbinde Musik und Psychologie auch auf jeden Fall in dem Sinne, dass es mich selbst heilt.

Das hört sich toll an und ist mit Sicherheit auch wichtig für Leute, die selbst mit Mental Health Issues kämpfen und sich mit deinen Texten identifizieren können.

Definitiv. Eine Sache, über die ich gerne offen spreche, ist, dass bei mir vor längerer Zeit eine mittelgradige bis schwere Depression diagnostiziert wurde. Dieses Jahr war ich deshalb auch in einer Klinik. Meine Laufbahn zeigt aber auch, dass die mentale Gesundheit wieder besser werden kann, wenn man aktiv wird. Wenn man Depressionen hat, muss man sich behavioral aktivieren. Das heißt, dass man so viele positive Aktivitäten wie möglich machen soll, sich dazu aber auch zwingen muss. Wenn man depressiv ist, macht das, was mal vor Jahren Spaß gemacht hat, halt keinen Spaß mehr. Ich habe beispielsweise damit angefangen, mich mehr in die Musik und in die Tattoos reinzusteigern.

Die Musik hat mich schon aus einem tiefen, tiefen Loch rausgeholt.

Wenn es mir schlecht ging, wenn ich was verarbeiten musste, wenn ich sauer war, dann hab ich einfach angefangen zu freestylen oder mir Sets anzuhören. Dann ging es mir besser. Ich werde mich nicht davor scheuen, diese Issues auch in meinen Texten anzusprechen, weil ich finde, wir sind mittlerweile fortgeschritten genug, dass man sich nicht mehr dafür schämen muss, eine psychische Störung zu haben.

Da stimme ich dir zu. Ich finde auch, dass die Offenheit dahingehend besser geworden ist. Zumindest kann ich mittlerweile in der Bubble, in der ich mich bewege, offen über psychische Probleme reden. Das ist auf jeden Fall eine schöne Entwicklung, auch wenn es längst noch nicht da ist, wo es sein sollte. Aber umso wichtiger ist es, dass es Leute wie dich gibt, die mit ihren persönlichen Erlebnissen an die Öffentlichkeit gehen! Hast du dahingehend trotzdem manchmal gemischte Gefühle? In dem Sinne, dass du vielleicht denkst: „Ey, jetzt kennt echt ein großes Publikum meine Privatangelegenheiten.“

Ehrlich gesagt habe ich schon ziemlich lange die Einstellung, dass ich versuche, mir nicht zu viel darauf einzubilden, was andere Leute von mir denken. Schon während der Pubertät habe ich gecheckt: „Okay Emilia, es gibt immer Leute, die dich supporten und die feiern, was du machst. Und es wird immer Leute geben, die nicht feiern, was du machst, sich darüber lustig machen und dich vielleicht sogar haten.“

Ich glaube, kein Mensch kann sich komplett von dem Einfluss der Meinungen anderer Leute befreien, aber ich versuche es, so gut es geht.

Ich probiere auch, diese Einstellung auszustrahlen, um meine Freund:innen und andere Leute damit zu inspirieren. Und so werde ich auch an den Release rangehen. Es wird auf jeden Fall Leute geben, denen es nicht so gut gefällt, und es wird auch Leute geben, denen es gefällt. Mein Ziel ist es auch gar nicht, eine riesige Reichweite zu bekommen. Ich hab meine Zielgruppen und das reicht mir auch. Wenn denen gefällt, was ich mache, dann ist für mich eigentlich schon alles getan.

Nochmal zu deiner Heimat. Deine Familie stammt ursprünglich nicht aus Deutschland. Wo liegen eure Wurzeln?

Mein Vater ist in Kirgisistan geboren, meine Mutter in Kasachstan. Beide haben aber in St. Petersburg studiert, sich dort kennengelernt und lange Zeit dort gelebt. Meine Eltern und meine Schwester sind kurz nach dem Mauerfall nach Potsdam migriert und dann auch für immer dort geblieben. Ich habe auch jetzt noch Familie in Moskau und in Sibirien.

Was für eine Rolle spielt länder- bzw. kulturbezogene Identität für dich?

Das ist eine sehr interessante Frage! Da hab ich tatsächlich mit einem anderen russischen Rapper aus Potsdam einen Track drüber geschrieben. Es geht darum, dass man zwei Identitäten bzw. zwei Mentalitäten hat, mit denen man aufwächst. In Deutschland bin ich wegen meines Temperaments oder anderer kultureller Gewohnheiten oft „zu russisch“. In Russland bin ich aber „die Deutsche“. Die russische Kultur spielt auf jeden Fall eine sehr, sehr große Rolle in meinem Leben. Mit meinen Eltern rede ich zum Beispiel nur russisch, da ich zweisprachig aufgewachsen bin. Ich hätte auf jeden Fall Lust, mehr russische Songs zu schreiben und zu releasen, nur denke ich, dass gerade nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist. Auch wenn ich auf jeden Fall dahinter stehe, zu sagen:

Ich werde mich nicht für meine Kultur schämen, ich werde mich nicht für meine Mentalität schämen!

Man muss definitiv zwischen der russischen Regierung bzw. Politik und der russischen Kultur unterscheiden.

Du hast es eben ja schon angedeutet; wie fühlt sich die aktuelle Lage des Russland-Ukraine-Konflikts für dich als Frau mit russischen Wurzeln an? Musst du mit Stigmatisierungen oder Vorurteilen kämpfen?

Ich war vor Kurzem in Berlin unterwegs und habe mit meiner Mutter telefoniert. Sie hat dann gesagt, ich solle leiser russisch auf der Straße sprechen. Das hat mich richtig traurig gemacht und darauf habe ich einfach keine Lust. Meine Mutter sollte sich keine Sorgen machen müssen, weil ich unsere Kultur auf eine Art und Weise vertrete. Ich werde nicht leiser russisch auf der Straße sprechen aufgrund der Tatsachen, die gerade so passieren. Ich persönlich habe noch keine Gewalt erfahren, aber es sind schon einige Homies von mir in Berlin geschlagen worden. Einfach nur dafür, dass sie russisch sind.

Rund 3,5 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Der Krieg bringt viele von ihnen in eine innere Krise: Wer bin ich? Wer bin ich in dieser Gesellschaft? Was ist meine Identität? Um Emilias Aussage zu wiederholen: Man muss zwischen der russischen Regierung und der russischen Kultur unterscheiden. Wer Menschen rein aufgrund ihrer Herkunft und Kultur mit Gewalt gegenübertritt, der tut nichts für die Befreiung der Ukraine, sondern trägt zum Rassismus bei. Punkt.

Ein sensibles Thema, das wir noch enorm vertiefen könnten. Deshalb nun ein Themenwechsel.

Wie bist du zum Tätowieren gekommen?

Ich mach das jetzt ungefähr seit einem Jahr. Mein erstes Tattoo war schrecklich. (lacht) Das hab ich bei meiner damaligen Freundin gestochen. Ich wusste auch gar nicht, wie das funktioniert. Später hatte ich dann einen Boyfriend, der Tätowierer ist. Ich durfte seine Haut als Übungshaut benutzen und das war natürlich ideal für den Einstieg. Er konnte mir auch zeigen, wie man alles richtig macht und hat somit sein Studio-Knowledge an mich weitergegeben. So habe ich das für mich entdeckt, und es macht mich richtig glücklich!

Tattoo von Emilia

Du stichst Tattoos, machst professionelle Musik und studierst dazu noch Psychologie, was mit Sicherheit sehr aufwendig ist. Wie bekommst du deine Projekte unter einen Hut und wo setzt du deine Prioritäten?

Ich glaube, kein Mensch könnte das alles auf eine gesunde Art und Weise gleichzeitig unter einen Hut bringen. Bei mir persönlich ist es so, dass ich immer in Zeitintervallen in eine bestimmte Sache intensiv Energie investiere. Sprich, ich tätowiere zum Beispiel eine Woche lang jeden Tag, oder ich hustle drei, vier Wochen für die Uni, wenn Klausuren anstehen. Oder ich kümmere mich eine Woche lang um einen Gig, schreibe mehr Texte, denke mir noch mehr Melodien aus, treffe mich ein bisschen öfter mit meinen beiden Produzenten und connecte mich mehr mit anderen Artists. Die Priorität schwankt also immer mal.

Nichts ist unwichtiger als das andere. Ich habe gelernt, dass es schwer ist, sich nur auf eine Säule zu fokussieren.

Wenn die dann nämlich wegfällt, weil man zum Beispiel eine schlechte Note geschrieben hat, geht es einem schlecht. Aber wenn man dann noch andere stabile Säulen hat, die genauso viel Gewichtung haben, dann ist es plötzlich nicht mehr so schlimm. Dann denke ich mir: „Okay, dafür hab ich ein cooles Tattoo gestochen!“, oder „dafür hab ich jetzt ein Release!“. Es kann ja auch nicht immer steil aufwärts gehen.

Beim Einerseits haben wir das Konzept, dass wir von der letzten interviewten Person eine Frage mitbringen. Du darfst heute die Frage vom Kollektiv Fünfsinn beantworten: Was hat dich am meisten in deinem Leben geprägt?

Auf die Musik bezogen würde ich sagen, mein soziales Umfeld in Potsdam. Wie gesagt, dort waren so viele Menschen, die gerappt haben, die Musik produziert haben, Instrumente gespielt haben oder in Bands aktiv waren. Potsdam ist einfach mega kreativ und hat mich somit dahingehend auch am meisten geprägt.

Liebe Emilia, ich danke Dir für das tolle Gespräch und dein Vertrauen, dein allererstes Interview mit mir zu führen. Mit Sicherheit werden noch einige davon auf dich zukommen und ich bin gespannt, wie sich deine weitere Karriere entwickeln wird!

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Musik, Tattoos, Psychologie – Das sind die drei Grundsäulen der Newcomerin Emilia. Unter ihrem Pseudonym „Ailimé“ veröffentlicht sie noch diesen November ihre erste EP „Sodalith“ – 3 Songs, die seit geraumer Zeit in Planung waren und unter Zusammenarbeit mit ihren Produzenten Modem und Lerchvin nun das Licht der Welt erblicken dürfen.

Bei Olivencreme und Radler im Café Klatsch sprechen wir unter anderem über die Entstehung ihrer EP, die therapeutische Kraft von Kunst und über das Gefühl, in der aktuellen Zeit des Russland-Ukraine-Konflikts als Frau mit russischen Wurzeln in Deutschland zu leben.

Emilia Portrait
Foto Credit: Emilia Rindchen

Hi Emilia! Wie geht es dir?

Mir geht es gut, ich bin mega neugierig, was heute auf mich zukommt, weil das mein allererstes Interview ist. Also generell in meinem Leben. Ich freue mich!

Ich freue mich auch sehr! Stell dich gern allgemein vor; wer bist du, was machst du, wo kommst du her?

Ich bin Emilia und bin gerade 23 geworden. Ich komme ursprünglich aus Potsdam, studiere jetzt aber Psychologie in Leipzig. Ich mache Musik und steche Tattoos.

Dann starten wir mal mit der Musik. Wo würdest du dich musikalisch einordnen?

Ich glaube, dass es richtig schwer ist, sich direkt am Anfang einzuordnen, da man sich ja erst mal ein bisschen ausprobieren muss. Wohinter stehe ich? Wohinter stehe ich auch in der Öffentlichkeit? Was passt zu mir? Und was kommt auch gut an? Aber der aktuelle Stand meiner EP ist, dass ich in Richtung Hip-Hop, Lo-Fi, RnB und Soul gehe. Ein Track ist aber auch dabei, der ein bisschen Richtung House geht.

Hast du musikalische Idole, die dich inspirieren?

Auf jeden Fall! Rein musikalisch sind meine größten Idole Mahalia, Greentea Peng, IAMDDB oder Princess Nokia. Vom Vibe her würde ich aber gerne etwas ausstrahlen wie die Deutschrapperinnen Juju, Loredana oder badmomzjay.

Wie kam es dazu, dass du selbst Musik gemacht hast?

Ich bin in einem Umfeld in Potsdam aufgewachsen, in dem sehr viele junge Leute Kunst machen, vor allem Musik. Es kam zufällig über Freund:innen dazu, dass ich mit Produzent:innen connectet habe. Das war aber erst mal auf einer freundschaftlichen Ebene und wir haben eher Spaß-Tracks gemacht. Als wir uns das dann aber angehört haben, waren wir alle ein bisschen baff, dass das eigentlich ganz gut klingt. Von da an wurde es immer ernster und immer mehr Menschen kamen in das Projekt rein: Kameraleute, manche wollten bei einem Musikvideo helfen, neue Produzent:innen und Artists, die ein Feature mit mir machen wollten. Es war gar nicht so wie bei den meisten, dass ich seit klein auf schon immer viel gesungen habe oder dass meine ganze Familie Musik gemacht hat.

Es wurde einfach zufällig immer, immer größer.

Deine erste EP wurde von Modem und Lerchvin produziert. Sind das auch welche von den eben genannten Kontakten aus Potsdam?

Ja, genau. Lerchvin ist mein Ex-Freund. Durch ihn bin ich an den Kontakt mit Modem gekommen. Modem war auch der, mit dem wir diesen Spaß-Track aufgenommen haben. Potsdam ist einfach ziemlich connected. Es hat sich später dann auch herausgestellt, dass Modem meine große Schwester kannte.

Wie war die Erfahrung für dich, professionell Musik zu produzieren und aufzunehmen?

Die groben Versionen der Tracks auf der EP entstanden übers iPad in einer Session von einer halben Stunde. Als es dann professioneller wurde und Modem und ich gemerkt haben, dass wir gut zusammenarbeiten können, mussten wir alles nochmal neu aufnehmen. Das war dann natürlich mit einem richtigen Mic. Auf mich hat das total Druck ausgeübt. Es ging ja nicht nur darum, etwas Neues zu produzieren, sondern auch darum, etwas zu reproduzieren, das schon da war und womit ich auch wirklich zufrieden war. Ich war super aufgeregt, das erste Mal mit Mikro zu singen. Man hört jede Atmung, das ist etwas ganz anderes als mit einem iPad. Es war eine ganz aufregende Erfahrung für mich.

Was bedeutet deine EP für dich? Das ist ja deine erste Veröffentlichung überhaupt.

Ich bin einfach mega mega gespannt, was passiert! In der Vergangenheit war ich nie Fan davon, bereits bestehende Sachen zu präsentieren, das war mir eher unangenehm. Aber jetzt, wo ich meine eigenen Songs habe und da auch wirklich hinter stehen kann, bin ich dahingehend viel mutiger. Ich freue mich wirklich, etwas zu veröffentlichen, das schon so lange in Planung war. Das ist mega aufregend.

Man will es einfach endlich rausbringen und den Leuten zeigen: „Ey, ich hab was, ziehts ́ euch rein! Es wird euch bestimmt gefallen!“

Zu dem Track „Lies“ gibt es ein Musikvideo. Wie war der Entstehungsprozess?

Ich habe auf einer Fahrt von Berlin nach Frankfurt ganz zufällig Nico, einen Kameramann aus Leipzig, kennengelernt. Dann kam noch Emilia dazu, sie hat assistiert und eigentlich überall mitgeholfen. Auch bei der Ideensammlung bezüglich dessen, wie wir Szenarien verbildlichen wollen und was wir vermitteln möchten. Eine andere Freundin, Jelena, die eine Schauspielausbildung gemacht hat, aber jetzt auch in Richtung Musikvideo Management gehen möchte, kam auch dazu. Es ist einfach mega cool, dass alle sich freiwillig beteiligt haben und jede:r etwas davon hat.

Ich finde, es ist am schönsten, wenn Projekte zufällig über Freund:innen zustande kommen, alle die Expertise aus ihrem Bereich mitbringen und wir uns in der Mitte treffen.

Emilias Beschreibung ihrer musikalischen Laufbahn klingt bis jetzt vor allem eins: harmonisch. Leider etwas, für das Teile der Hip-Hop Szene nicht unbedingt bekannt sind. Unlängst machte Nika Irani durch Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber einem Rapper auf strukturellen Sexismus in der Hip-Hop-Szene, aber auch in der Gesellschaft aufmerksam und brachte somit eine Bewegung ins Rollen, der sich immer mehr Frauen anschlossen: #deutschrapmetoo. Auch Emilia kann trotz ihrer kurzen Karriere schon jetzt von sexistischen Erfahrungen innerhalb der Szene berichten. So hieße es nach ihrem ersten Auftritt in der Anomalie aus manchen Ecken, sie müsse arroganter rüber kommen, ihr Style wäre zu „Tom-Boy“, sie solle mehr von ihren weiblichen Reizen zeigen, um mehr Reichweite zu ziehen. Während ihrer Erzählungen wirkt sie dennoch selbstsicher und klar in ihrer Position: nicht mit mir.

Emilia beim Auftritt
Foto: Katharina de Fries

In einem deiner Songs thematisiert du unter anderem Therapie. Verarbeitest du in deinen Texten auch persönliche Erlebnisse?

Ja, total. Das habe ich ehrlich gesagt auch schon lange bevor ich richtige Songs geschrieben habe, gemacht. Ich habe mir immer House-Sets oder Hip-Hop-Sets ohne Vocals angehört und dann einfach vor mich hingesungen, mir Melodien und Texte ausgedacht, und so Dinge verarbeitet. So habe ich quasi aus Versehen automatisch für genau diese Karriere geübt, die ich jetzt anfange. Musik war für mich am Anfang auch eher ein Kommunikationsmittel, damit sich vielleicht Leute den Track anhören, denen ich bestimmte Sachen nicht ins Gesicht sagen kann. Ich verbinde Musik und Psychologie auch auf jeden Fall in dem Sinne, dass es mich selbst heilt.

Das hört sich toll an und ist mit Sicherheit auch wichtig für Leute, die selbst mit Mental Health Issues kämpfen und sich mit deinen Texten identifizieren können.

Definitiv. Eine Sache, über die ich gerne offen spreche, ist, dass bei mir vor längerer Zeit eine mittelgradige bis schwere Depression diagnostiziert wurde. Dieses Jahr war ich deshalb auch in einer Klinik. Meine Laufbahn zeigt aber auch, dass die mentale Gesundheit wieder besser werden kann, wenn man aktiv wird. Wenn man Depressionen hat, muss man sich behavioral aktivieren. Das heißt, dass man so viele positive Aktivitäten wie möglich machen soll, sich dazu aber auch zwingen muss. Wenn man depressiv ist, macht das, was mal vor Jahren Spaß gemacht hat, halt keinen Spaß mehr. Ich habe beispielsweise damit angefangen, mich mehr in die Musik und in die Tattoos reinzusteigern.

Die Musik hat mich schon aus einem tiefen, tiefen Loch rausgeholt.

Wenn es mir schlecht ging, wenn ich was verarbeiten musste, wenn ich sauer war, dann hab ich einfach angefangen zu freestylen oder mir Sets anzuhören. Dann ging es mir besser. Ich werde mich nicht davor scheuen, diese Issues auch in meinen Texten anzusprechen, weil ich finde, wir sind mittlerweile fortgeschritten genug, dass man sich nicht mehr dafür schämen muss, eine psychische Störung zu haben.

Da stimme ich dir zu. Ich finde auch, dass die Offenheit dahingehend besser geworden ist. Zumindest kann ich mittlerweile in der Bubble, in der ich mich bewege, offen über psychische Probleme reden. Das ist auf jeden Fall eine schöne Entwicklung, auch wenn es längst noch nicht da ist, wo es sein sollte. Aber umso wichtiger ist es, dass es Leute wie dich gibt, die mit ihren persönlichen Erlebnissen an die Öffentlichkeit gehen! Hast du dahingehend trotzdem manchmal gemischte Gefühle? In dem Sinne, dass du vielleicht denkst: „Ey, jetzt kennt echt ein großes Publikum meine Privatangelegenheiten.“

Ehrlich gesagt habe ich schon ziemlich lange die Einstellung, dass ich versuche, mir nicht zu viel darauf einzubilden, was andere Leute von mir denken. Schon während der Pubertät habe ich gecheckt: „Okay Emilia, es gibt immer Leute, die dich supporten und die feiern, was du machst. Und es wird immer Leute geben, die nicht feiern, was du machst, sich darüber lustig machen und dich vielleicht sogar haten.“

Ich glaube, kein Mensch kann sich komplett von dem Einfluss der Meinungen anderer Leute befreien, aber ich versuche es, so gut es geht.

Ich probiere auch, diese Einstellung auszustrahlen, um meine Freund:innen und andere Leute damit zu inspirieren. Und so werde ich auch an den Release rangehen. Es wird auf jeden Fall Leute geben, denen es nicht so gut gefällt, und es wird auch Leute geben, denen es gefällt. Mein Ziel ist es auch gar nicht, eine riesige Reichweite zu bekommen. Ich hab meine Zielgruppen und das reicht mir auch. Wenn denen gefällt, was ich mache, dann ist für mich eigentlich schon alles getan.

Nochmal zu deiner Heimat. Deine Familie stammt ursprünglich nicht aus Deutschland. Wo liegen eure Wurzeln?

Mein Vater ist in Kirgisistan geboren, meine Mutter in Kasachstan. Beide haben aber in St. Petersburg studiert, sich dort kennengelernt und lange Zeit dort gelebt. Meine Eltern und meine Schwester sind kurz nach dem Mauerfall nach Potsdam migriert und dann auch für immer dort geblieben. Ich habe auch jetzt noch Familie in Moskau und in Sibirien.

Was für eine Rolle spielt länder- bzw. kulturbezogene Identität für dich?

Das ist eine sehr interessante Frage! Da hab ich tatsächlich mit einem anderen russischen Rapper aus Potsdam einen Track drüber geschrieben. Es geht darum, dass man zwei Identitäten bzw. zwei Mentalitäten hat, mit denen man aufwächst. In Deutschland bin ich wegen meines Temperaments oder anderer kultureller Gewohnheiten oft „zu russisch“. In Russland bin ich aber „die Deutsche“. Die russische Kultur spielt auf jeden Fall eine sehr, sehr große Rolle in meinem Leben. Mit meinen Eltern rede ich zum Beispiel nur russisch, da ich zweisprachig aufgewachsen bin. Ich hätte auf jeden Fall Lust, mehr russische Songs zu schreiben und zu releasen, nur denke ich, dass gerade nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist. Auch wenn ich auf jeden Fall dahinter stehe, zu sagen:

Ich werde mich nicht für meine Kultur schämen, ich werde mich nicht für meine Mentalität schämen!

Man muss definitiv zwischen der russischen Regierung bzw. Politik und der russischen Kultur unterscheiden.

Du hast es eben ja schon angedeutet; wie fühlt sich die aktuelle Lage des Russland-Ukraine-Konflikts für dich als Frau mit russischen Wurzeln an? Musst du mit Stigmatisierungen oder Vorurteilen kämpfen?

Ich war vor Kurzem in Berlin unterwegs und habe mit meiner Mutter telefoniert. Sie hat dann gesagt, ich solle leiser russisch auf der Straße sprechen. Das hat mich richtig traurig gemacht und darauf habe ich einfach keine Lust. Meine Mutter sollte sich keine Sorgen machen müssen, weil ich unsere Kultur auf eine Art und Weise vertrete. Ich werde nicht leiser russisch auf der Straße sprechen aufgrund der Tatsachen, die gerade so passieren. Ich persönlich habe noch keine Gewalt erfahren, aber es sind schon einige Homies von mir in Berlin geschlagen worden. Einfach nur dafür, dass sie russisch sind.

Rund 3,5 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Der Krieg bringt viele von ihnen in eine innere Krise: Wer bin ich? Wer bin ich in dieser Gesellschaft? Was ist meine Identität? Um Emilias Aussage zu wiederholen: Man muss zwischen der russischen Regierung und der russischen Kultur unterscheiden. Wer Menschen rein aufgrund ihrer Herkunft und Kultur mit Gewalt gegenübertritt, der tut nichts für die Befreiung der Ukraine, sondern trägt zum Rassismus bei. Punkt.

Ein sensibles Thema, das wir noch enorm vertiefen könnten. Deshalb nun ein Themenwechsel.

Wie bist du zum Tätowieren gekommen?

Ich mach das jetzt ungefähr seit einem Jahr. Mein erstes Tattoo war schrecklich. (lacht) Das hab ich bei meiner damaligen Freundin gestochen. Ich wusste auch gar nicht, wie das funktioniert. Später hatte ich dann einen Boyfriend, der Tätowierer ist. Ich durfte seine Haut als Übungshaut benutzen und das war natürlich ideal für den Einstieg. Er konnte mir auch zeigen, wie man alles richtig macht und hat somit sein Studio-Knowledge an mich weitergegeben. So habe ich das für mich entdeckt, und es macht mich richtig glücklich!

Tattoo von Emilia

Du stichst Tattoos, machst professionelle Musik und studierst dazu noch Psychologie, was mit Sicherheit sehr aufwendig ist. Wie bekommst du deine Projekte unter einen Hut und wo setzt du deine Prioritäten?

Ich glaube, kein Mensch könnte das alles auf eine gesunde Art und Weise gleichzeitig unter einen Hut bringen. Bei mir persönlich ist es so, dass ich immer in Zeitintervallen in eine bestimmte Sache intensiv Energie investiere. Sprich, ich tätowiere zum Beispiel eine Woche lang jeden Tag, oder ich hustle drei, vier Wochen für die Uni, wenn Klausuren anstehen. Oder ich kümmere mich eine Woche lang um einen Gig, schreibe mehr Texte, denke mir noch mehr Melodien aus, treffe mich ein bisschen öfter mit meinen beiden Produzenten und connecte mich mehr mit anderen Artists. Die Priorität schwankt also immer mal.

Nichts ist unwichtiger als das andere. Ich habe gelernt, dass es schwer ist, sich nur auf eine Säule zu fokussieren.

Wenn die dann nämlich wegfällt, weil man zum Beispiel eine schlechte Note geschrieben hat, geht es einem schlecht. Aber wenn man dann noch andere stabile Säulen hat, die genauso viel Gewichtung haben, dann ist es plötzlich nicht mehr so schlimm. Dann denke ich mir: „Okay, dafür hab ich ein cooles Tattoo gestochen!“, oder „dafür hab ich jetzt ein Release!“. Es kann ja auch nicht immer steil aufwärts gehen.

Beim Einerseits haben wir das Konzept, dass wir von der letzten interviewten Person eine Frage mitbringen. Du darfst heute die Frage vom Kollektiv Fünfsinn beantworten: Was hat dich am meisten in deinem Leben geprägt?

Auf die Musik bezogen würde ich sagen, mein soziales Umfeld in Potsdam. Wie gesagt, dort waren so viele Menschen, die gerappt haben, die Musik produziert haben, Instrumente gespielt haben oder in Bands aktiv waren. Potsdam ist einfach mega kreativ und hat mich somit dahingehend auch am meisten geprägt.

Liebe Emilia, ich danke Dir für das tolle Gespräch und dein Vertrauen, dein allererstes Interview mit mir zu führen. Mit Sicherheit werden noch einige davon auf dich zukommen und ich bin gespannt, wie sich deine weitere Karriere entwickeln wird!

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