“A ROOM WITHOUT WALLS”

Ein länderübergreifendes Radioballett im Kindertheater

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“Kindertheater- Rahmen, Geste, Partizipation” war der Titel meines Blockseminars in diesem Sommersemester. Erwartet hatte ich von dieser Veranstaltung eine allgemeine Einführung ins Kindertheater und viel Theorie; stattdessen wurden wir ein kleiner Teil im Prozess des Projekts “A Room without Walls”. Ein Projekt der Gruppe LIGNA, das mich von Anfang an berührt und gefesselt hat, da es länderübergreifend Kinder verbinden und durch Tanz einen Raum für Freiheit und Verbundenheit schaffen soll. Was euch hier genau erwartet, haben meine Dozenten Ole Frahm und Torsten Michaelsen in einem Interview verraten. 

 

Hallo ihr beiden! Wollt ihr mir erstmal ein bisschen was über euch erzählen und euch den Leser:innen vorstellen?

 

Ole Frahm: 

Ich heiße Ole Frahm, ich komme aus Hamburg und bin seit über 20 Jahren bei LIGNA. 

 

Torsten Michaelsen:

Und mein Name ist Torsten Michaelsen, ich bin auch bei der Gruppe LIGNA. Das ist auch relativ einfach, wir sind drei Leute und wir sind alle Gründungsmitglieder. Wir kommen eigentlich aus dem Bereich Radio, dem freien Radio – da haben wir uns auch kennengelernt und haben sehr früh zusammen überlegt, wie man die Form des Mediums neu erschließen kann und sind dadurch in den performativen Bereich über gewechselt. 

 

Jetzt geben wir zusammen ein Seminar hier an der Goethe Universität in Frankfurt, das sich auf eine Arbeit mit Kindern bezieht, die ”Room without Walls‘‘ heißt. Hierbei handelt es sich um ein performatives Hörstück, das gleichzeitig von vier Gruppen – in Frankfurt, in La Union auf den Philippinen, in São Paulo in Brasilien und in Beirut im Libanon – bearbeitet wird, die jeweils auch von Künstler:innen geleitet werden. 

Foto Credit: Sophie Wagner

Wie kamt ihr zur Goethe Universität? Arbeitet ihr ansonsten noch mit weiteren Universitäten zusammen?

 

Ole: Förderformate wie das Förderprogramm von der Kunst- und Kulturstiftungnamens JUPITER ist der Versuch Kindertheater ernster zu nehmen – und anderen Theaterförderungen gleichzustellen. Um das zu tun, darf man nicht nur ein Stück entwickeln,sondern muss es auch mit Studierenden begleiten, sodass eine größere Nachhaltigkeit erreicht wird. Somit werden mehr Leute mit der Bearbeitung  und die Studierenden lernen, dass Kindertheater nichts sekundäres ist. 

 

Torsten: Für einen selbst ist das aber auch ganz interessant, weil man die eigene Praxis nochmal anders durchdenkt. Es ist einerseits mehr Arbeit, aber andererseits erzeugt das auch mehr Instanzen zur Reflexion. 

 

Ole: Wir kommen selbst aus einem universitären Kontext und haben immer, wenn es ging, unsere Arbeit reflexiv begleitet. Wir fanden das schon immer gut und haben – vor allem auch bei der Arbeit beim freien Radio – selbstorganisierte Seminare gemacht. Nächstes Semester sind wir in Bochum, da haben wir die Christoph-Schlingensief-Dozentur bei der Szenischen Forschung, was uns sehr freut, da es nochmal ein anderer Kontext ist. Für dieses Stück werden wir im Oktober/ November noch einen Workshop mit der Hochschule für Tanz und Musikmachen. 

Wie seid ihr zum Kindertheater gekommen?

 

Ole an Torsten: Hast du eigentlich Schultheater gemacht? 

Torsten: Ich war tatsächlich in der Oberstufe in der Englisch-Theater- AG. 

 

Ole: Ich habe ab der neunten Klasse an der Schule eine Theater-AG geleitet, aber das hat absolut nichts damit zu tun.

Der erste Anlass war, als uns ein Bekannter gefragt hat, ob wir für das Festival der Schultheater in Hamburg ein Schultheaterstück kreieren könnten. Das war 2008/2009 und es hat uns damals schon gezeigt, dass es gar nicht so einfach ist, mit Schülern zu arbeiten. Zumal wir auch nicht aus dem pädagogischen Bereich kommen – da gerät man schnell an Grenzen. Aber im Verlauf unserer Recherchen haben wir Jenny Gertz entdeckt, die aus einer interessanten Perspektive in den 1920er Jahren mit Tanzpädagogik begonnen hat. Dadurch hat sich unser Interesse historisch verlängert und intensiviert. 

 

Könnt ihr euer aktuelles Projekt vorstellen? 

 

Torsten: Das Stück heißt “A Room Without Walls” – Ein Raum ohne Wände, die konkrete Idee ist durch die Jupiter Ausschreibung entstanden, die unter anderem die Bedingung hatte, dass dabei Menschen involviert sind, die vorher kein Kindertheater gemacht haben. Da fielen wir eigentlich schon mal raus, daher hatten wir die Idee, andere Personen noch dazuzuholen und hatten Lust darauf, international zuarbeiten, auch weil wir nicht unbedingt wissen, wie das Leben außerhalb des Nahbereichs aussieht. Und es ist ja auch interessant, etwas von Kindern aus ganz anderen Teilen der Welt mitzubekommen. Danach haben wir die Idee entwickelt, mit drei anderen Parteien zusammenzuarbeiten – also mit vier Positionen zusammen an einem Stück. Teilweise kennen wir die Beteiligten auch schon aus anderen Kollaborationen und dachten, wir könnten das jetzt in diesem Kindertheater-Bereich fortsetzen und was beginnen, was sonst nicht so typisch ist. 

 

Ole: In diesem Förderformat ist es – soweit ich es überblicke –  das einzige internationale Projekt. Das hat uns überrascht, da wir uns – insbesondere durch Corona – intensiver die Frage gestellt haben, wie wir uns über Landesgrenzen hinweg solidarisieren und Bindungen aufbauen kann. In meiner Kindheit hatte ich eher eine lokale Wahrnehmung, was aktuell mit den Kindern, mit denen wir arbeiten, anders ist,weil manche von weiter weg kommen. Meine Eltern sind nur von der nächst kleineren Kleinstadt nach Hamburg gezogen; das war übersichtlich, während heute viele Kinder mehrsprachig aufwachsen, aus Ländern wie Marokko und Somalia kommen, und damit auch mehr geographische Bezüge zu anderen Orten haben. Wir dachten uns,dass es gut wäre, diese Verbindung zu thematisieren. 

Foto Credit: Eisa Jocson

 

Was ist das Besondere an den Ländern – warum genau die 3 Länder?

 

Torsten: Wir wollten einerseits eine weitere Verteilung haben und andererseits wählt man sowas ja auch nicht komplett abstrakt aus, sondern anhand von konkreten Kooperationspartnern. Alejandro Ahmed aus Brasilien kannten wir schon, fanden ihn gut und haben ihn gefragt, ob er nicht mal Lust hätte, mit einer Kindergruppe zu arbeiten. Bei Eisa Jocson und bei Ghida Hachicho war es ähnlich. Ghida war die Einzige, die wir noch nicht kannten, von der wir aber schon Arbeiten gesehen hatten. Es war eher nach künstlerischen Positionen ausgesucht und weniger konkret nach Ländern. 

 

Ole: Es sollte weit gespannt über den Globus und auch nicht unbedingt mit konsumorientierten Ländern wie die USA oder Japan. Länder, die den europäischen Kindern nicht unbedingt durch Filme, Nachrichten und Erzählungen bekannt sind. Alejandro arbeitet viel mit körperlicher Versehrtheit, mit Verletzlichkeit. Und er selbst kann sehr schlecht hören - das spielt auch in den Stücken immer wieder eine Rolle. Eisa hat sehr stark die Rolle von Philippinas hinsichtlich Rassismus und Sexismus untersucht. Das ist eine sehr spannende Auseinandersetzung für uns,auch hinsichtlich des Aspektes eine Dezentralisierung zu erzeugen, was gar nicht so einfach ist, weil wir ja auch die Gelder organisiert haben.

 

Was berührt euch am meisten an dem Projekt? Was ist am prägendsten? 

 

Ole: Wir arbeiten zum ersten Mal mit Kindern mit Sehbehinderungen und einem blinden Kind. Ich habe zwar einen leichten Augenfehler, was zum einen eine große Vertrautheit erzeugt und zum anderen eine große Fremdheit bewahrt, weil die Kinder ganz andere Einschränkungen haben – zudem funktioniert die Schule ganz anders, als die Schulen an denen wir zuvor waren. Wenn man Kinder besser kennenlernt und inkeiner pädagogischen Rolle ist, entwickelt man allerdings eh ein ganz anderes Verhältnis zu ihnen. Man lernt sie in ihrer Eigentümlichkeit schätzen und das finde ich sehr bereichernd, vor allem auch wie sie miteinander umgehen, gerade wie sie sich umeinander sorgen. Sie sind körperlich und sie sind sich sehr nah. Sie sind achtsam miteinander, was ich sehr berührend finde. 

 

Es gibt das eine Mädchen, welches gar nicht sehen kann und mit ihren Eltern aus Somalia gekommen ist. Sie ist super souverän, aber in Erinnerung geblieben ist mir ihre Frage in der ersten Stunde, als wir einleitend erzählt haben, dass eseine Klasse in São Paulo gibt, die nach der Schule Ballett tanzt und sie gefragt hat, was Ballett ist, weil sie das Wort noch nie gehört hat. In solchen Momenten merkt man dann doch, dass die Welten, in denen wir leben, sehr unterschiedlich sind, was uns wieder auf die Frage zurückkommen lässt, wie man von Welten, die man gar nicht kennt, etwas kennenlernen kann. 

 

Torsten: Berührt waren wir aber auch, als wir gehört haben, dass für die Kinder in São Paulo die Wände ein wichtiger Schutzraum sind, dass sie in ihrer Ballettklasse geschützt sind von ihrem Leben in der Favela draußen, das voll Gewalt ist und bei dem auchimmer wieder Leute ums Leben kommen. Das bringt auch immer wieder die leichte Utopie, die mit dem Titel (Anm. d. Red.: des Theaterstücks “A Room WithoutWalls” – Ein Raum ohne Wände) einhergeht, hervor: Man hat einen zugangsoffenen,partiell hergestellten Raum, der für die Kinder dort gar nicht so eine Utopieist, sondern für sie extrem wichtig, da er von Wänden umschlossen ist. Für sie ist Tanz ein Schutzort, und so etwas miterleben zu dürfen, ist immer wieder interessant.

 

Ole: Es sind Momente, in denen man merkt, dass Tanz eine Gelegenheit sein kann, in der man einfach anders sein darf und kann. Wir versuchen den Tanz nicht auf die Kulturen zu beziehen, sondern jeder Klasse ihren Bewegungszugang zu lassen. Der Raum um die Kinder herum ist ihr Bewegungsraum. Diesen kann man ausdehnen und den eigenen Standpunkt körperlich fühlen. Sport ist oft Konkurrenz, Tanz ermöglichteine ganz andere Freude an der Bewegung. 

 

Könnt ihr euch vorstellen, das Projekt noch weiterzuführen? 

 

Torsten: Es soll ein Hörstück entstehen, das dann auch bei Schulen aufgeführt werden kann, und ansonsten arbeiten wir sehr oft partizipatorisch mit Kindern zusammen, also das können wir uns auf alle Fälle vorstellen.

 

Ole: Wir lernen ja auch aus den Sachen, die nicht so gut laufen, vor allem in Bezug auf die Rahmensetzung und dass solche Projekte viel Zeit und Geduld brauchen. Mit Kindern zu arbeiten erzeugt eine gewisse Verlangsamung, die in einer ergebnisorientierten Welt sehr interessant ist. 

 

Torsten: Das ist ja der eine Aspekt des Ganzen. Der andere ist die internationale Kooperation, die natürlich sehr aufwendig ist und die man nicht so einfach direkt wiederherstellen könnte. Falls ein solches Projekt nochmal stattfinden sollte, würde ich denken, dass wir von Anfang an stärker die Gegenüberstellungen mit den anderen einbeziehen sollten. Wir haben zwar versucht dies herzustellen, dennoch sind sie weiterhin eine abstrakte Größe für unsere Kinder.  

 

Wann genau wird die Premiere stattfinden? Wird diese öffentlich zugänglich sein? 

 

Ole: Die Premiere ist am 2. November im Rahmen des Tanzfestivals in Frankfurt, somit wird das Stück auch für Erwachsene zugänglich sein, obwohl das Stück ursprünglich nur für Kinder gedacht war. Interessant wird hier die Reaktion der Erwachsenen sein. Wichtig ist, dass diese die Kinder unterstützen und nicht nur zuschauen. 

 

Könnt ihr vielleicht auch nochmal am Rande das Projekt vorstellen, das ihr mit einer Wiesbadener Grundschule entwickelt habt?

 

Torsten: “KlasseKinder” ist 2018 entstanden mit den Schülern der Riedbergschule. Das Projekt ist innerhalb eines halben Jahres entstanden und setzt sich inhaltlich mit Jenny Gertz auseinander, einer Tänzerin und späteren Tanzpädagogin, die ein sehr hohes Verständnis dafür hatte, was man mit Tanz machen kann. Sie hat auchviel mit Kindergruppen gearbeitet. 

 

Ole: Jenny Gertz hat uns interessiert, weil sie die erste Tanzpädagogin für freien Tanz ist und dasmit einem pädagogischen Konzept verbindet, das die freie Entwicklung der Individuen in einer sozial eingestellten Gesellschaft fördert. Sich in der Weltbewegen, Empowerment zeigen – Tanz als Waffe und politischen Anspruch, aber auch Tanz als Erziehung zum Frieden und zum sozialen Miteinander: ein freies,kommunistisches Programm. Man kann mit Tanz eine gewisse Sozialität üben, in einem körperlichen Miteinander, und das haben wir versucht mit aufzunehmen. “KlasseKinder“ entstand nach der ersten großen Asylwelle, wo die Geschichte von Gertz,die 1933 aus politischen Gründen aus Deutschland fliehen musste, auch nochmal einen weiteren Kontext einbringt. 

 

Torsten: Viele Kinder hatten einen Migrationshintergrund und konnten damit etwas anfangen. 

 

Ole: Gleichzeitig hat Tanz etwas, das alle Menschen verbindet, da es Bewegungsformen gibt, die man nachahmt. Der mimetische Impuls reicht sehr weit. 

Foto Credit: Ralf Grömminger

 

Was können wir von den Kindern lernen?

 

Torsten: Auf alle Fälle die Fähigkeit, zu allem zu werden, den starken mimetischen Impulsund die Freude daran, sich in alles Mögliche zu verwandeln. Es macht Spaß,dieser Entwicklung zuzuhören. 

 

Ole: Die Kinder,mit denen wir zu tun hatten, haben alle wenig Probleme mit Differenzen umzugehen. Sie akzeptieren sich und helfen einander mit einer sehr großen Selbstverständlichkeit - das finde ich sehr beeindruckend. 

 

Torsten: Unsere Kinder haben ein nicht sehr normatives Körperbild. Die Schule ist eine Schule für Kinder mit Seheinschränkungen. Viele von den Kindern waren zuvor auf Regelschulen, als Integrationskinder, sind damit aber nicht klargekommen und mussten dann erstmal aufgebaut werden. Viele waren am Anfang sehr in sich gekehrt und sind jetzt super selbstbewusst, woraus man auch wieder auf den Druck schließen kann, der auf die Kinder aufgebaut wird, die nicht der Norm entsprechen, die dann untergehen und gemobbt werden. In der Schule kann man mitdem Feld der Abweichungen gut umgehen. Alle helfen sich weiter. 

 

Ole: Es gibt eine große Spielfreude, die ist wahnsinnig herzerwärmend. 

 

Torsten: Traurig ist,wenn man daran denkt, dass irgendwann Äußerlichkeiten so unfassbar wichtig werden und du kannst eben nicht mehr einfach Teil der Gruppe sein, wenn du irgendwie abweichst und keine gute funktionale Gruppe hast. Man kann definitiv von ihnen lernen, dass es wichtig ist, eine Gruppe zu haben, die überhaupt gar nicht solche Beurteilungskataloge hat. 

 

Danke euch beiden für das schöne Interview und den Einblick in euer Projekt, eure Arbeit und die Emotionen, die mit dem Tanzprojekt “A ROOM WITHOUT WALLS”verbunden sind.

Ich freue mich auf die Premiere am 2.11.2024 im Rahmen des Tanzfestivals sowie die weitere Entwicklung des Hörstücks!


Jede:r, bei dem:r jetzt das Interesse geweckt wurde, mehr über das Projekt zuerfahren, kann das auf der Website von LIGNA oder bei der Premiere des Stücks im November im Zoo Gesellschaftshaus tun.

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“Kindertheater- Rahmen, Geste, Partizipation” war der Titel meines Blockseminars in diesem Sommersemester. Erwartet hatte ich von dieser Veranstaltung eine allgemeine Einführung ins Kindertheater und viel Theorie; stattdessen wurden wir ein kleiner Teil im Prozess des Projekts “A Room without Walls”. Ein Projekt der Gruppe LIGNA, das mich von Anfang an berührt und gefesselt hat, da es länderübergreifend Kinder verbinden und durch Tanz einen Raum für Freiheit und Verbundenheit schaffen soll. Was euch hier genau erwartet, haben meine Dozenten Ole Frahm und Torsten Michaelsen in einem Interview verraten. 

 

Hallo ihr beiden! Wollt ihr mir erstmal ein bisschen was über euch erzählen und euch den Leser:innen vorstellen?

 

Ole Frahm: 

Ich heiße Ole Frahm, ich komme aus Hamburg und bin seit über 20 Jahren bei LIGNA. 

 

Torsten Michaelsen:

Und mein Name ist Torsten Michaelsen, ich bin auch bei der Gruppe LIGNA. Das ist auch relativ einfach, wir sind drei Leute und wir sind alle Gründungsmitglieder. Wir kommen eigentlich aus dem Bereich Radio, dem freien Radio – da haben wir uns auch kennengelernt und haben sehr früh zusammen überlegt, wie man die Form des Mediums neu erschließen kann und sind dadurch in den performativen Bereich über gewechselt. 

 

Jetzt geben wir zusammen ein Seminar hier an der Goethe Universität in Frankfurt, das sich auf eine Arbeit mit Kindern bezieht, die ”Room without Walls‘‘ heißt. Hierbei handelt es sich um ein performatives Hörstück, das gleichzeitig von vier Gruppen – in Frankfurt, in La Union auf den Philippinen, in São Paulo in Brasilien und in Beirut im Libanon – bearbeitet wird, die jeweils auch von Künstler:innen geleitet werden. 

Foto Credit: Sophie Wagner

Wie kamt ihr zur Goethe Universität? Arbeitet ihr ansonsten noch mit weiteren Universitäten zusammen?

 

Ole: Förderformate wie das Förderprogramm von der Kunst- und Kulturstiftungnamens JUPITER ist der Versuch Kindertheater ernster zu nehmen – und anderen Theaterförderungen gleichzustellen. Um das zu tun, darf man nicht nur ein Stück entwickeln,sondern muss es auch mit Studierenden begleiten, sodass eine größere Nachhaltigkeit erreicht wird. Somit werden mehr Leute mit der Bearbeitung  und die Studierenden lernen, dass Kindertheater nichts sekundäres ist. 

 

Torsten: Für einen selbst ist das aber auch ganz interessant, weil man die eigene Praxis nochmal anders durchdenkt. Es ist einerseits mehr Arbeit, aber andererseits erzeugt das auch mehr Instanzen zur Reflexion. 

 

Ole: Wir kommen selbst aus einem universitären Kontext und haben immer, wenn es ging, unsere Arbeit reflexiv begleitet. Wir fanden das schon immer gut und haben – vor allem auch bei der Arbeit beim freien Radio – selbstorganisierte Seminare gemacht. Nächstes Semester sind wir in Bochum, da haben wir die Christoph-Schlingensief-Dozentur bei der Szenischen Forschung, was uns sehr freut, da es nochmal ein anderer Kontext ist. Für dieses Stück werden wir im Oktober/ November noch einen Workshop mit der Hochschule für Tanz und Musikmachen. 

Wie seid ihr zum Kindertheater gekommen?

 

Ole an Torsten: Hast du eigentlich Schultheater gemacht? 

Torsten: Ich war tatsächlich in der Oberstufe in der Englisch-Theater- AG. 

 

Ole: Ich habe ab der neunten Klasse an der Schule eine Theater-AG geleitet, aber das hat absolut nichts damit zu tun.

Der erste Anlass war, als uns ein Bekannter gefragt hat, ob wir für das Festival der Schultheater in Hamburg ein Schultheaterstück kreieren könnten. Das war 2008/2009 und es hat uns damals schon gezeigt, dass es gar nicht so einfach ist, mit Schülern zu arbeiten. Zumal wir auch nicht aus dem pädagogischen Bereich kommen – da gerät man schnell an Grenzen. Aber im Verlauf unserer Recherchen haben wir Jenny Gertz entdeckt, die aus einer interessanten Perspektive in den 1920er Jahren mit Tanzpädagogik begonnen hat. Dadurch hat sich unser Interesse historisch verlängert und intensiviert. 

 

Könnt ihr euer aktuelles Projekt vorstellen? 

 

Torsten: Das Stück heißt “A Room Without Walls” – Ein Raum ohne Wände, die konkrete Idee ist durch die Jupiter Ausschreibung entstanden, die unter anderem die Bedingung hatte, dass dabei Menschen involviert sind, die vorher kein Kindertheater gemacht haben. Da fielen wir eigentlich schon mal raus, daher hatten wir die Idee, andere Personen noch dazuzuholen und hatten Lust darauf, international zuarbeiten, auch weil wir nicht unbedingt wissen, wie das Leben außerhalb des Nahbereichs aussieht. Und es ist ja auch interessant, etwas von Kindern aus ganz anderen Teilen der Welt mitzubekommen. Danach haben wir die Idee entwickelt, mit drei anderen Parteien zusammenzuarbeiten – also mit vier Positionen zusammen an einem Stück. Teilweise kennen wir die Beteiligten auch schon aus anderen Kollaborationen und dachten, wir könnten das jetzt in diesem Kindertheater-Bereich fortsetzen und was beginnen, was sonst nicht so typisch ist. 

 

Ole: In diesem Förderformat ist es – soweit ich es überblicke –  das einzige internationale Projekt. Das hat uns überrascht, da wir uns – insbesondere durch Corona – intensiver die Frage gestellt haben, wie wir uns über Landesgrenzen hinweg solidarisieren und Bindungen aufbauen kann. In meiner Kindheit hatte ich eher eine lokale Wahrnehmung, was aktuell mit den Kindern, mit denen wir arbeiten, anders ist,weil manche von weiter weg kommen. Meine Eltern sind nur von der nächst kleineren Kleinstadt nach Hamburg gezogen; das war übersichtlich, während heute viele Kinder mehrsprachig aufwachsen, aus Ländern wie Marokko und Somalia kommen, und damit auch mehr geographische Bezüge zu anderen Orten haben. Wir dachten uns,dass es gut wäre, diese Verbindung zu thematisieren. 

Foto Credit: Eisa Jocson

 

Was ist das Besondere an den Ländern – warum genau die 3 Länder?

 

Torsten: Wir wollten einerseits eine weitere Verteilung haben und andererseits wählt man sowas ja auch nicht komplett abstrakt aus, sondern anhand von konkreten Kooperationspartnern. Alejandro Ahmed aus Brasilien kannten wir schon, fanden ihn gut und haben ihn gefragt, ob er nicht mal Lust hätte, mit einer Kindergruppe zu arbeiten. Bei Eisa Jocson und bei Ghida Hachicho war es ähnlich. Ghida war die Einzige, die wir noch nicht kannten, von der wir aber schon Arbeiten gesehen hatten. Es war eher nach künstlerischen Positionen ausgesucht und weniger konkret nach Ländern. 

 

Ole: Es sollte weit gespannt über den Globus und auch nicht unbedingt mit konsumorientierten Ländern wie die USA oder Japan. Länder, die den europäischen Kindern nicht unbedingt durch Filme, Nachrichten und Erzählungen bekannt sind. Alejandro arbeitet viel mit körperlicher Versehrtheit, mit Verletzlichkeit. Und er selbst kann sehr schlecht hören - das spielt auch in den Stücken immer wieder eine Rolle. Eisa hat sehr stark die Rolle von Philippinas hinsichtlich Rassismus und Sexismus untersucht. Das ist eine sehr spannende Auseinandersetzung für uns,auch hinsichtlich des Aspektes eine Dezentralisierung zu erzeugen, was gar nicht so einfach ist, weil wir ja auch die Gelder organisiert haben.

 

Was berührt euch am meisten an dem Projekt? Was ist am prägendsten? 

 

Ole: Wir arbeiten zum ersten Mal mit Kindern mit Sehbehinderungen und einem blinden Kind. Ich habe zwar einen leichten Augenfehler, was zum einen eine große Vertrautheit erzeugt und zum anderen eine große Fremdheit bewahrt, weil die Kinder ganz andere Einschränkungen haben – zudem funktioniert die Schule ganz anders, als die Schulen an denen wir zuvor waren. Wenn man Kinder besser kennenlernt und inkeiner pädagogischen Rolle ist, entwickelt man allerdings eh ein ganz anderes Verhältnis zu ihnen. Man lernt sie in ihrer Eigentümlichkeit schätzen und das finde ich sehr bereichernd, vor allem auch wie sie miteinander umgehen, gerade wie sie sich umeinander sorgen. Sie sind körperlich und sie sind sich sehr nah. Sie sind achtsam miteinander, was ich sehr berührend finde. 

 

Es gibt das eine Mädchen, welches gar nicht sehen kann und mit ihren Eltern aus Somalia gekommen ist. Sie ist super souverän, aber in Erinnerung geblieben ist mir ihre Frage in der ersten Stunde, als wir einleitend erzählt haben, dass eseine Klasse in São Paulo gibt, die nach der Schule Ballett tanzt und sie gefragt hat, was Ballett ist, weil sie das Wort noch nie gehört hat. In solchen Momenten merkt man dann doch, dass die Welten, in denen wir leben, sehr unterschiedlich sind, was uns wieder auf die Frage zurückkommen lässt, wie man von Welten, die man gar nicht kennt, etwas kennenlernen kann. 

 

Torsten: Berührt waren wir aber auch, als wir gehört haben, dass für die Kinder in São Paulo die Wände ein wichtiger Schutzraum sind, dass sie in ihrer Ballettklasse geschützt sind von ihrem Leben in der Favela draußen, das voll Gewalt ist und bei dem auchimmer wieder Leute ums Leben kommen. Das bringt auch immer wieder die leichte Utopie, die mit dem Titel (Anm. d. Red.: des Theaterstücks “A Room WithoutWalls” – Ein Raum ohne Wände) einhergeht, hervor: Man hat einen zugangsoffenen,partiell hergestellten Raum, der für die Kinder dort gar nicht so eine Utopieist, sondern für sie extrem wichtig, da er von Wänden umschlossen ist. Für sie ist Tanz ein Schutzort, und so etwas miterleben zu dürfen, ist immer wieder interessant.

 

Ole: Es sind Momente, in denen man merkt, dass Tanz eine Gelegenheit sein kann, in der man einfach anders sein darf und kann. Wir versuchen den Tanz nicht auf die Kulturen zu beziehen, sondern jeder Klasse ihren Bewegungszugang zu lassen. Der Raum um die Kinder herum ist ihr Bewegungsraum. Diesen kann man ausdehnen und den eigenen Standpunkt körperlich fühlen. Sport ist oft Konkurrenz, Tanz ermöglichteine ganz andere Freude an der Bewegung. 

 

Könnt ihr euch vorstellen, das Projekt noch weiterzuführen? 

 

Torsten: Es soll ein Hörstück entstehen, das dann auch bei Schulen aufgeführt werden kann, und ansonsten arbeiten wir sehr oft partizipatorisch mit Kindern zusammen, also das können wir uns auf alle Fälle vorstellen.

 

Ole: Wir lernen ja auch aus den Sachen, die nicht so gut laufen, vor allem in Bezug auf die Rahmensetzung und dass solche Projekte viel Zeit und Geduld brauchen. Mit Kindern zu arbeiten erzeugt eine gewisse Verlangsamung, die in einer ergebnisorientierten Welt sehr interessant ist. 

 

Torsten: Das ist ja der eine Aspekt des Ganzen. Der andere ist die internationale Kooperation, die natürlich sehr aufwendig ist und die man nicht so einfach direkt wiederherstellen könnte. Falls ein solches Projekt nochmal stattfinden sollte, würde ich denken, dass wir von Anfang an stärker die Gegenüberstellungen mit den anderen einbeziehen sollten. Wir haben zwar versucht dies herzustellen, dennoch sind sie weiterhin eine abstrakte Größe für unsere Kinder.  

 

Wann genau wird die Premiere stattfinden? Wird diese öffentlich zugänglich sein? 

 

Ole: Die Premiere ist am 2. November im Rahmen des Tanzfestivals in Frankfurt, somit wird das Stück auch für Erwachsene zugänglich sein, obwohl das Stück ursprünglich nur für Kinder gedacht war. Interessant wird hier die Reaktion der Erwachsenen sein. Wichtig ist, dass diese die Kinder unterstützen und nicht nur zuschauen. 

 

Könnt ihr vielleicht auch nochmal am Rande das Projekt vorstellen, das ihr mit einer Wiesbadener Grundschule entwickelt habt?

 

Torsten: “KlasseKinder” ist 2018 entstanden mit den Schülern der Riedbergschule. Das Projekt ist innerhalb eines halben Jahres entstanden und setzt sich inhaltlich mit Jenny Gertz auseinander, einer Tänzerin und späteren Tanzpädagogin, die ein sehr hohes Verständnis dafür hatte, was man mit Tanz machen kann. Sie hat auchviel mit Kindergruppen gearbeitet. 

 

Ole: Jenny Gertz hat uns interessiert, weil sie die erste Tanzpädagogin für freien Tanz ist und dasmit einem pädagogischen Konzept verbindet, das die freie Entwicklung der Individuen in einer sozial eingestellten Gesellschaft fördert. Sich in der Weltbewegen, Empowerment zeigen – Tanz als Waffe und politischen Anspruch, aber auch Tanz als Erziehung zum Frieden und zum sozialen Miteinander: ein freies,kommunistisches Programm. Man kann mit Tanz eine gewisse Sozialität üben, in einem körperlichen Miteinander, und das haben wir versucht mit aufzunehmen. “KlasseKinder“ entstand nach der ersten großen Asylwelle, wo die Geschichte von Gertz,die 1933 aus politischen Gründen aus Deutschland fliehen musste, auch nochmal einen weiteren Kontext einbringt. 

 

Torsten: Viele Kinder hatten einen Migrationshintergrund und konnten damit etwas anfangen. 

 

Ole: Gleichzeitig hat Tanz etwas, das alle Menschen verbindet, da es Bewegungsformen gibt, die man nachahmt. Der mimetische Impuls reicht sehr weit. 

Foto Credit: Ralf Grömminger

 

Was können wir von den Kindern lernen?

 

Torsten: Auf alle Fälle die Fähigkeit, zu allem zu werden, den starken mimetischen Impulsund die Freude daran, sich in alles Mögliche zu verwandeln. Es macht Spaß,dieser Entwicklung zuzuhören. 

 

Ole: Die Kinder,mit denen wir zu tun hatten, haben alle wenig Probleme mit Differenzen umzugehen. Sie akzeptieren sich und helfen einander mit einer sehr großen Selbstverständlichkeit - das finde ich sehr beeindruckend. 

 

Torsten: Unsere Kinder haben ein nicht sehr normatives Körperbild. Die Schule ist eine Schule für Kinder mit Seheinschränkungen. Viele von den Kindern waren zuvor auf Regelschulen, als Integrationskinder, sind damit aber nicht klargekommen und mussten dann erstmal aufgebaut werden. Viele waren am Anfang sehr in sich gekehrt und sind jetzt super selbstbewusst, woraus man auch wieder auf den Druck schließen kann, der auf die Kinder aufgebaut wird, die nicht der Norm entsprechen, die dann untergehen und gemobbt werden. In der Schule kann man mitdem Feld der Abweichungen gut umgehen. Alle helfen sich weiter. 

 

Ole: Es gibt eine große Spielfreude, die ist wahnsinnig herzerwärmend. 

 

Torsten: Traurig ist,wenn man daran denkt, dass irgendwann Äußerlichkeiten so unfassbar wichtig werden und du kannst eben nicht mehr einfach Teil der Gruppe sein, wenn du irgendwie abweichst und keine gute funktionale Gruppe hast. Man kann definitiv von ihnen lernen, dass es wichtig ist, eine Gruppe zu haben, die überhaupt gar nicht solche Beurteilungskataloge hat. 

 

Danke euch beiden für das schöne Interview und den Einblick in euer Projekt, eure Arbeit und die Emotionen, die mit dem Tanzprojekt “A ROOM WITHOUT WALLS”verbunden sind.

Ich freue mich auf die Premiere am 2.11.2024 im Rahmen des Tanzfestivals sowie die weitere Entwicklung des Hörstücks!


Jede:r, bei dem:r jetzt das Interesse geweckt wurde, mehr über das Projekt zuerfahren, kann das auf der Website von LIGNA oder bei der Premiere des Stücks im November im Zoo Gesellschaftshaus tun.

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